Bei dem Gebiet in dem diese Vernichtungsschlacht stattfand muss es sich
demnach um einen sehr ausgedehnten Sektor handeln, der drei Legionen in
einer Falle einschließen konnte und aus dem es für das römische Heer
kein Entkommen gab. Der gleiche Abschnitt deutet auch an, dass es zu
keiner offenen Feldschlacht gekommen ist bei der dann die Römer
unzweifelhaft ihre militärischen Vorteile hätten ausspielen konnten.
Auch muss die Topographie dieser Gegend es den Römern unmöglich gemacht
haben an einer beliebigen Stelle durchzubrechen, um auf ein Gelände
vorzudringen welches dem Heer des Varus bessere
Verteidigungsmöglichkeiten bot. Dieses ausgedehnte Gebiet findet sich
nicht bei Kalkriese, denn hier sind die Niewedder Senke und das Umland
räumlich zu begrenzt um etwa zwanzigtausend römische Soldaten unausrinnbar einzukesseln.
Paterculus schreibt auch nichts über Berge und Schluchten welche den Römern
nachteilig gewesen wären, was auf einen Schlachtort im Gebirge des
heutigen Teutoburger Waldes hindeuten würde. Dagegen scheint bewaldetes
und versumpftes Gebiet, in dem die Legionen nicht ungehindert
manövrieren und damit ihre Kampfkraft entwickeln konnten, die
Hauptursache der Varusniederlage gewesen zu sein.
Eine
weitere, für eine Ortsbestimmung verwertbare, Angabe gibt uns Paterculus
in einem anderen Satz. Denn er schreibt
(Vell.119/4): „Numonius
Vala aber, ein Legat des Varus, sonst ein ruhiger und bewährter Mann,
gab ein abschreckendes Beispiel: Er beraubte die Fußsoldaten des
Schutzes durch die Reiterei, machte sich mit den Schwadronen auf die
Flucht und suchte den Rhein zu erreichen. Jedoch das Schicksal rächte
seine Schandtat: Er überlebte seine Kameraden nicht, von denen er
desertiert war, sondern fand als Deserteur den Tod.“Sollte
sich die Varusschlacht im Osning oder am Wiehengebirge ereignet haben,
so wäre der nächstgelegene Fluchtpunkt den die Reiterschwadronen des
Legaten Numonius Vala logischerweise versucht haben zu erreichen, eines
der beiden an der Lippe gelegenen Legionslager Anreppen oder
Haltern
gewesen. Denn diese Lager hätte Vala mit Bestimmtheit passiert und sich
hier in Sicherheit gebracht, bevor er den immerhin mindestens 170
Kilometer entfernten Rhein erreichen konnte. Daher muss nach der
Interpretation dieser Textstelle der Schlachtort in einem Gebiet liegen
von dem aus der Rhein als rettendes Ziel näher lag, als irgendein
anderer römischer Stützpunkt auf germanischen Boden.
Weiterhin bekommt diese Aussage von Paterculus eine hinweisende
Bedeutung (Vell.120/3): „Hier soll nun auch L. Asprenas mit Fug und Recht
Erwähnung finden. Er war Legat unter seinem Onkel Varus gewesen und
hatte durch sein tapferes, mannhaftes Verhalten das aus zwei Legionen
bestehende Heer, das er befehligte, unversehrt aus der großen
Katastrophe gerettet. Und in dem er in Eilmärschen in die
Winterquartiere Germaniens zog, bestärkte er die diesseits des Rheines
wohnenden Völker, die schon schwankend geworden waren, in ihrer Treue.
Dennoch gibt es Leute, die glauben, er habe zwar die Lebenden gerettet,
aber auch die Hinterlassenschaft der mit Varus Umgekommenen an sich
gebracht und nach seinem Belieben die Erbschaft der getöteten Soldaten
angetreten.“ Die Aussage dieses Abschnittes kann nur bedeuten, dass
an der Varusschlacht neben den vernichteten drei Legionen des Varus
noch zwei andere Legionen, die des Asprenas, beteiligt waren. Hier gibt
es jedoch verschiedene Missklänge sofern man den Schlachtort jenseits
der Ems oder den Lippequellen lokalisieren will. Absolut
verantwortungslos in militärischer Hinsicht wäre es seinerzeitlich
gewesen, wenn Asprenas mit seinen beiden Legionen auch den Rhein
überschritten hätte und in östlicher Richtung zum Osning marschiert
wäre. Denn dann wäre das gesamte Gebiet der Germania Inferrior gegen einen Angriff,
egal von welcher Seite schutzlos ausgeliefert, denn alle römischen
Legionen die im unteren Teil Germaniens stationiert waren, hätten sich
dann in dieser Situation auf der rechten Rheinseite aufgehalten. Auch
hätte Asprenas wenn er sich auf der rechten Rheinseite im Gebiet der
Lippe aufgehalten hätte und vom Aufstand erfuhr, zuerst zwangsläufig
die in seiner Nähe liegenden Lager Haltern und Delbrück sichern lassen müssen, um sie nicht den
Germanen preiszugeben. In diesem Falle hätte der römische Legat dann
Berührung mit den aufständischen Germanen haben müssen. Aber sollten
sich Asprenas und die Germanen des Arminius auf dem Schlachtfeld
begegnet sein, so hätten der römische Legat und seine Legionen dieses
Zusammentreffen nicht vollständig intakt überstanden. Aber wir lesen im
Gegensatz dazu bei Paterculus, dass sich Asprenas unversehrt aus der
Katastrophe retten konnte und er die auf der linken Rheinseite
siedelnden Germanen, die schon wankelmütig wurden, in ihrer Treue
bestärkt hatte.
Vielmehr
macht es Sinn, dass sich Asprenas während der Varusschlacht auf der
linken Rheinseite aufgehalten hat und den Vorstoß von Varus gegen die
aufständischen Germanen von hier aus flankieren sollte. Als er dann die
Nachricht von der vernichtenden Niederlage der drei Legionen erhielt,
besetzte er zügig die Legionslager
Vetera und
Nimwegen, um von diesen
Militäranlagen aus ein vermutetes Eindringen der siegreichen
Germanenstämme in linksrheinische Gebiete entgegenwirken zu können.
Eine
kurze Andeutung über die Eroberung der beiden Lippelager Anreppen und
Haltern durch die Germanen gibt uns Paterculus mit diesen Sätzen
(Vell.119/4):
„Von den beiden Lagerpräfekten aber gab der eine, L. Eggius, ein
heldenhaftes, der andere, Ceionius, ein Erbärmliches Beispiel. Der
letztere bot, nachdem der größere Teil des Heeres schon umgekommen war,
die Übergabe an: Er wollte lieber hingerichtet werden als im Kampf
sterben.“ Es ist äußerst Unwahrscheinlich, dass mit dieser Aussage
von einer Situation innerhalb der eigentlichen Varusschlacht gesprochen
wird. Hier wird von zwei Lagerpräfekten gesprochen die oberste
Befehlsgewalt innehatten, wo es doch vermutlich immer nur ein Feldlager
des Varusheeres gegeben hat. Und in einem Feldlager während eines
Feldzuges hatte ein Lagerpräfekt nur dann die Befehlshoheit wenn alle
vorrangigen Dienstgrade (Statthalter, Tribunen, Legaten) ausgefallen
waren. So kann davon ausgegangen werden, dass mit diesen Sätzen ein
Geschehen nach der Vernichtung des Varusheeres erzählt wird, als die
Lippelager Anreppen und Haltern von den Germanen belagert oder zerstört
wurden. Das wird explizit in dem Verhalten des Präfekten Ceionius
deutlich, der die Übergabe seines Lagers anbot. Diese Angabe deckt sich
mit den archäologischen Ergebnissen die die Ausgrabungen in Anreppen
erbrachten. Denn dieses Römerkastell wurde demnach im Zusammenhang mit
der Varusschlacht freiwillig von den Römern aufgelassen und nicht
gewaltsam erobert. Die Besatzung des Legionslagers Haltern wurde im
Gegensatz dazu, nach Aussage der dort beteiligten Archäologen, von den
Germanen nach der Varusschlacht gewaltsam erobert. Auch hier
lässt sich eine Verbindung zu der Angabe des Paterculus herstellen, nach dem
der Lagerpräfekt Eggius deswegen ein heldenhaftes Beispiel abgab weil
er sich standhaft gegen die anstürmenden Germanen gewehrt hat.
Es muss
aber noch ein drittes Römerkastell auf rechtsrheinischen Boden gegeben
haben, denn Velleius schrieb über die Belagerung des Lagers
Aliso diesen
Abschnitt (Vell.120/4): „Lobende Erwähnung verdient ebenso
die Tapferkeit des Lagerpräfekten L. Caedicus und seiner Soldaten, die
mit ihm in Aliso eingekesselt und von den Germanen mit einer ungeheueren
Truppenmacht belagert wurden. Sie meisterten ihre schwierige Lage, die
der Mangel an Lebensmitteln schier unerträglich und die Übermacht der
Feinde fast aussichtslos gemacht hatte. Dabei verließen sie sich weder
auf tollkühne Entschlüsse noch auf zauderndes hin- und herüberlegen,
sondern fassten eine günstige Gelegenheit ins Auge und schlugen sich mit
dem Schwert in der Hand zu ihren Kameraden durch.“. Allein aus dieser Aussage ist
zu schließen, dass dieses Aliso in einer räumlichen Nähe zum vermuteten
Fluchtpunkt Rhein gelegen haben muss, denn ein Rückzug über eine lange
Strecke wäre gegen diese beschriebene germanische Übermacht mit
Sicherheit nicht von
Erfolg gekrönt gewesen.