Lokalisierung durch Velleius Paterculus

Velleius Paterculus greifbare Ortsangaben zur Varusschlacht und den anderen gesuchten historischen Stätten des einstmaligen Geschehens sind leider nur sehr dürftig. Aber durch eine grobe Interpretation der Ortsbeschreibungen in seinem Werk erhält man gewisse Informationen die uns als Grundlage für die Betrachtungen der anderen relevanten antiken Berichterstatter dienen können.

Er gibt uns nur eine ungenaue Ortsbeschreibung vom Ausgangsort des Varus, in dem er schreibt (Vell.117/4): „Mit diesem Vorsatz begab er (Varus) sich in das innere Germaniens, und als habe er es mit Männern zu tun, die die Annehmlichkeiten des Lebens genossen, brachte er die Zeit des Sommerfeldzugs damit zu, von seinem Richterstuhl aus Recht zu sprechen und Prozessformalitäten abzuhandeln.“ Diese Beschreibung kann allein für jeden Ort jenseits des Rheins zutreffen. Aber zu den Tiberiusfeldzügen  in den Jahren 4 und 5 schreibt Paterculus (Vell.105/3): „Dort hatte er (Tiberius), mitten im Landesinneren an der Quelle des Flusses Lippe, vor seiner Abreise als erster ein Winterlager aufgeschlagen.“ Dieses Lager an der Quelle der Lippe ist archäologisch unzweifelhaft nachgewiesen das Lager Delbrück-Anreppen. Die Vermutung liegt nahe, dass dieses Landesinnere in dem sich Tiberius aufgehalten hat und das Innere Germaniens wo Varus den Sommer verbrachte, eine ähnliche Ortsangabe andeuten. Da Varus, nach der Aussage von Paterculus, die Zeit des Sommerfeldzuges damit verbrachte von seinem Richterstuhl Recht zu sprechen, kann dieses nur soviel bedeuten, dass der römische Statthalter mit seinen Armeen in diesem Sommer keine anstrengenden und aufwendigen Unternehmungen machte, sondern sich nur in einem festen Lager mit seinen Annehmlichkeiten aufgehalten hat. War doch Varus, nach Paterculus, eher dem müßigen Lagerleben als dem beschwerlichen Felddienst zugewandt (Vell.117/2). Und dieses Lager in dem Varus den Sommer verbrachte, könnte gleichfalls wie unter Tiberius das Lager Anreppen gewesen sein, in dem sich der jeweilige Statthalter in einem weit prachtvollerem Prätorium als in den anderen Römerkastellen in Germanien aufhalten konnte. Des Weiteren galt das Gebiet beidseitig der Lippe bis zum Anreppener Lager als unterworfen und unterstand dem Hoheitsrecht der Römer. Hier war Varus oberster Rechtsherr und legitimiert römische Gesetze aufzustellen und deren Einhaltung einzufordern. Anders verhält es sich für die Gebiete im und jenseits des Osnings, wo die Cherusker als Verbündete der Römer siedelten. Kaum ein gleichberechtigter Alliierter würde sich die Gesetze eines scheinbaren Partners aufbürden lassen, so dass es durchaus unwahrscheinlich anmutet, dass sich die freien Cherusker ihre Souveränität über ihre Gebiete entziehen lassen würden.

Römischer Helm 2. Viertel erstes Jahrhundert n. Chr.

Fundort Kiesgrube Xanten-Wardt

Auch im zweiten Buch seiner Historia Romana schreibt Paterculus zum militärischen Verhalten der Römer als es zu den Aufständen in Pannonien und Dalmatien kam, dass es (Vell.110/3) „gegen die Belange der Sicherheit ist, ein Heer im innersten Winkel des Landes zu vergraben und dabei Italien ungeschützt dem Angriff eines so nahen Feindes zu überlassen.“ Diese Aussage bedeutet vor allem, dass Varus allein schon aus verteidigungstaktischen Gründen sich nicht allzu weit von der Rheingrenze entfernen durfte, und den Auftrag hatte keine weitgreifenden und risikoreichen Aktionen ins tiefe Germanien durchzuführen. Denn jetzt ging es für Rom vorrangig darum, die für das Imperium bedrohliche Rebellion auf dem Balkan einzudämmen und dafür dort die militärischen Kräfte zu bündeln.

Lokalisierung durch Tacitus

Lokalisierung durch Strabo

Lokalisierung durch Florus

Lokalisierung durch Sueton

Lokalisierung durch Cassius Dio

Das topographische Gelände der Varusschlacht

Die drei Legionsadler

Fazit der Lokalisierungsversuche

Als für eine konkretere Bestimmung des eigentlichen Ortes der Varusschlacht verwertbar gilt diese Passage von Paterculus (Vell.119/2):“ Die tapferste Armee von allen, führend unter den römischen Truppen, was Disziplin, Tapferkeit und Kriegserfahrung angeht, wurde durch die Indolenz des Führers, die betrügerische List des Feindes und die Ungunst des Schicksals in einer Falle gefangen. Weder zum Kämpfen noch zum Ausbrechen bot sich ihnen, so sehnlich sie es sich auch wünschten, ungehindert Gelegenheit, ja, einige mussten sogar schwer dafür büßen, dass sie als Römer ihre Waffen und ihren Kampfgeist eingesetzt hatten. Eingeschlossen in Wälder und Sümpfe, in einem feindlichen Hinterhalt, wurden sie Mann für Mann abgeschlachtet, und zwar von demselben Feind, den sie ihrerseits stets wie Vieh abgeschlachtet hatten- dessen Leben und Tod von ihrem Zorn oder ihrem Mitleid abhängig gewesen war.“.

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Bei dem Gebiet in dem diese Vernichtungsschlacht stattfand muss es sich demnach um einen sehr ausgedehnten Sektor handeln, der drei Legionen in einer Falle einschließen konnte und aus dem es für das römische Heer kein Entkommen gab. Der gleiche Abschnitt deutet auch an, dass es zu keiner offenen Feldschlacht gekommen ist bei der dann die Römer unzweifelhaft ihre militärischen Vorteile hätten ausspielen konnten. Auch muss die Topographie dieser Gegend es den Römern unmöglich gemacht haben an einer beliebigen Stelle durchzubrechen, um auf ein Gelände vorzudringen welches dem Heer des Varus bessere Verteidigungsmöglichkeiten bot. Dieses ausgedehnte Gebiet findet sich nicht bei Kalkriese, denn hier sind die Niewedder Senke und das Umland räumlich zu begrenzt um etwa zwanzigtausend römische Soldaten  unausrinnbar einzukesseln. Paterculus schreibt auch nichts über Berge und Schluchten welche den Römern nachteilig gewesen wären, was auf einen Schlachtort im Gebirge des heutigen Teutoburger Waldes hindeuten würde. Dagegen scheint bewaldetes und versumpftes Gebiet, in dem die Legionen nicht ungehindert manövrieren und damit ihre Kampfkraft entwickeln konnten, die Hauptursache der Varusniederlage gewesen zu sein.

Eine weitere, für eine Ortsbestimmung verwertbare, Angabe gibt uns Paterculus in einem anderen Satz. Denn er schreibt (Vell.119/4): „Numonius Vala aber, ein Legat des Varus, sonst ein ruhiger und bewährter Mann, gab ein abschreckendes Beispiel: Er beraubte die Fußsoldaten des Schutzes durch die Reiterei, machte sich mit den Schwadronen auf die Flucht und suchte den Rhein zu erreichen. Jedoch das Schicksal rächte seine Schandtat: Er überlebte seine Kameraden nicht, von denen er desertiert war, sondern fand als Deserteur den Tod.“Sollte sich die Varusschlacht im Osning oder am Wiehengebirge ereignet haben, so wäre der nächstgelegene Fluchtpunkt den die Reiterschwadronen des Legaten Numonius Vala logischerweise versucht haben zu erreichen, eines der beiden an der Lippe gelegenen Legionslager Anreppen oder Haltern gewesen. Denn diese Lager hätte Vala mit Bestimmtheit passiert und sich hier in Sicherheit gebracht, bevor er den immerhin mindestens 170 Kilometer entfernten Rhein erreichen konnte. Daher muss nach der Interpretation dieser Textstelle der Schlachtort in einem Gebiet liegen von dem aus der Rhein als rettendes Ziel näher lag, als irgendein anderer römischer Stützpunkt auf germanischen Boden.

Weiterhin bekommt diese Aussage von Paterculus eine hinweisende Bedeutung (Vell.120/3): „Hier soll nun auch L. Asprenas mit Fug und Recht Erwähnung finden. Er war Legat unter seinem Onkel Varus gewesen und hatte durch sein tapferes, mannhaftes Verhalten das aus zwei Legionen bestehende Heer, das er befehligte, unversehrt aus der großen Katastrophe gerettet. Und in dem er in Eilmärschen in die Winterquartiere Germaniens zog, bestärkte er die diesseits des Rheines wohnenden Völker, die schon schwankend geworden waren, in ihrer Treue. Dennoch gibt es Leute, die glauben, er habe zwar die Lebenden gerettet, aber auch die Hinterlassenschaft der mit Varus Umgekommenen an sich gebracht und nach seinem Belieben die Erbschaft der getöteten Soldaten angetreten.“ Die Aussage dieses Abschnittes kann nur bedeuten, dass an der Varusschlacht neben den vernichteten drei Legionen des Varus noch zwei andere Legionen, die des Asprenas, beteiligt waren. Hier gibt es jedoch verschiedene Missklänge sofern man den Schlachtort jenseits der Ems oder den Lippequellen lokalisieren will. Absolut verantwortungslos in militärischer Hinsicht wäre es seinerzeitlich gewesen, wenn Asprenas mit seinen beiden Legionen auch den Rhein überschritten hätte und in östlicher Richtung zum Osning marschiert wäre. Denn dann wäre das gesamte Gebiet der Germania Inferrior gegen einen Angriff, egal von welcher Seite schutzlos ausgeliefert, denn alle römischen Legionen die im unteren Teil  Germaniens stationiert waren, hätten sich dann in dieser Situation auf der rechten Rheinseite aufgehalten. Auch hätte Asprenas wenn er sich auf der rechten Rheinseite im Gebiet der Lippe aufgehalten hätte und vom Aufstand erfuhr, zuerst zwangsläufig die in seiner Nähe liegenden Lager Haltern und Delbrück sichern lassen müssen, um sie nicht den Germanen preiszugeben. In diesem Falle hätte der römische Legat dann Berührung mit den aufständischen Germanen haben müssen. Aber sollten sich Asprenas und die Germanen des Arminius auf dem Schlachtfeld begegnet sein, so hätten der römische Legat und seine Legionen dieses Zusammentreffen nicht vollständig intakt überstanden. Aber wir lesen im Gegensatz dazu bei Paterculus, dass sich Asprenas unversehrt aus der Katastrophe retten konnte und er die auf der linken Rheinseite siedelnden Germanen, die schon wankelmütig wurden, in ihrer Treue bestärkt hatte.

Vielmehr macht es Sinn, dass sich Asprenas während der Varusschlacht auf der linken Rheinseite aufgehalten hat und den Vorstoß von Varus gegen die aufständischen Germanen von hier aus flankieren sollte. Als er dann die Nachricht von der vernichtenden Niederlage der drei Legionen erhielt, besetzte er zügig die Legionslager Vetera und Nimwegen, um von diesen Militäranlagen aus ein vermutetes Eindringen der siegreichen Germanenstämme in linksrheinische Gebiete entgegenwirken zu können.

Eine kurze Andeutung über die Eroberung der beiden Lippelager Anreppen und Haltern durch die Germanen gibt uns Paterculus mit diesen Sätzen (Vell.119/4): „Von den beiden Lagerpräfekten aber gab der eine, L. Eggius, ein heldenhaftes, der andere, Ceionius, ein Erbärmliches Beispiel. Der letztere bot, nachdem der größere Teil des Heeres schon umgekommen war, die Übergabe an: Er wollte lieber hingerichtet werden als im Kampf sterben.“ Es ist äußerst Unwahrscheinlich, dass mit dieser Aussage von einer Situation innerhalb der eigentlichen Varusschlacht gesprochen wird. Hier wird von zwei Lagerpräfekten gesprochen die oberste Befehlsgewalt innehatten, wo es doch vermutlich immer nur ein Feldlager des Varusheeres gegeben hat. Und in einem Feldlager während eines Feldzuges hatte ein Lagerpräfekt nur dann die Befehlshoheit wenn alle vorrangigen Dienstgrade (Statthalter, Tribunen, Legaten) ausgefallen waren. So kann davon ausgegangen werden, dass mit diesen Sätzen ein Geschehen nach der Vernichtung des Varusheeres erzählt wird, als die Lippelager Anreppen und Haltern von den Germanen belagert oder zerstört wurden. Das wird explizit in dem Verhalten des Präfekten Ceionius deutlich, der die Übergabe seines Lagers anbot. Diese Angabe deckt sich mit den archäologischen Ergebnissen die die Ausgrabungen in Anreppen erbrachten. Denn dieses Römerkastell wurde demnach im Zusammenhang mit der Varusschlacht freiwillig von den Römern aufgelassen und nicht gewaltsam erobert. Die Besatzung des Legionslagers Haltern wurde im Gegensatz dazu, nach Aussage der dort beteiligten Archäologen, von den Germanen nach der Varusschlacht gewaltsam erobert. Auch hier lässt sich eine Verbindung zu der Angabe des Paterculus herstellen, nach dem der Lagerpräfekt Eggius deswegen ein heldenhaftes Beispiel abgab weil er sich standhaft gegen die anstürmenden Germanen gewehrt hat.

Es muss aber noch ein drittes Römerkastell auf rechtsrheinischen Boden gegeben haben, denn Velleius schrieb über die Belagerung des Lagers Aliso diesen Abschnitt (Vell.120/4): „Lobende Erwähnung verdient ebenso die Tapferkeit des Lagerpräfekten L. Caedicus und seiner Soldaten, die mit ihm in Aliso eingekesselt und von den Germanen mit einer ungeheueren Truppenmacht belagert wurden. Sie meisterten ihre schwierige Lage, die der Mangel an Lebensmitteln schier unerträglich und die Übermacht der Feinde fast aussichtslos gemacht hatte. Dabei verließen sie sich weder auf tollkühne Entschlüsse noch auf zauderndes hin- und herüberlegen, sondern fassten eine günstige Gelegenheit ins Auge und schlugen sich mit dem Schwert in der Hand zu ihren Kameraden durch.“. Allein aus dieser Aussage ist zu schließen, dass dieses Aliso in einer räumlichen Nähe zum vermuteten Fluchtpunkt Rhein gelegen haben muss, denn ein Rückzug über eine lange Strecke wäre gegen diese beschriebene germanische Übermacht mit Sicherheit nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

 

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