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(2)...Sein (Tiberius) Vaterland ließ der Schutz- und Schirmherrn seines Reiches
nicht lange in der Stadt (Rom) verweilen, sondern sandte ihn alsbald nach
Germanien. Dort war vorher, unter deinem Großvater M.Vinicius, diesem hoch
angesehenen Mann, ein gewaltiger Krieg entbrannt. Vinicius hatte diesen Krieg
auf einigen Schauplätzen glücklich geführt, an anderen Orten erfolgreich die
Stellung gehalten, und man hatte ihm deswegen die Triumphalinsignien verliehen
nebst einer höchst ruhmvollen Inschrift über seine Taten. (3) Zu diesem
Zeitpunkt wurde ich, nachdem ich zuvor Tribun gewesen war, Soldat im Heer des
Tiberius Caesar. Sogleich wurde ich, als Präfekt wie als Legat, neun Jahre
hindurch Zuschauer bei seinen über menschliches Maß hinausgehenden Taten, ja im
Rahmen meiner bescheidenen Fähigkeiten sogar Mithelfer.
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(1) Tiberius rückte sogleich in Germanien ein,
besiegte die Canniefaten, Attuarier und Brukterer und nahm die Cherusker in die
Obhut des römischen Volkes auf. Diesem Volk entstammte Arminius, der bald durch
unsere Niederlage bekannt werden sollte. Dann überschritt Tiberius Caesar die
Weser und drang weiter ins Landesinnere vor, wobei er jeweils die gefährlichsten
und schwierigsten Unternehmungen sich selbst vorbehielt. Gefahrlosere
Expeditionen übertrug er dem Sentius Saturninus, der schon unter seinem Vater
Legat in Germanien gewesen war.(2) Dieser Mann vereinigte viele Vorzüge in sich:
Er war von reger Tatkraft und Voraussicht, ebenso ausdauernd wie erfahren im
Kriegsdienst, aber er konnte auch, sobald ihm der Dienst freie Zeit ließ, diese
Muße großzügig und mit Anstand genießen, ganz so, dass man ihn keinen
schwelgerischen Müßiggänger, sondern eher einen heiter kultivierten Genießer
hätte nennen können. Über seinen noblen Charakter und sein berühmt gewordenes
Konsulat habe ich zuvor schon gesprochen. (3) Der Sommerfeldzug wurde in diesem
Jahr bis in den Dezember ausgedehnt und brachte uns den Vorteil weiterer großer
Siege. Seine treue Sohnesliebe führte Tiberius Caesar über die im Winter fast
unwegsamen Alpen nach Rom, und die Sorge um den Schutz des Reiches brachte in im
Frühjahr wieder zurück nach Germanien. Dort hatte er, mitten im Landesinneren an
der Quelle des Flusses Lippe, vor seiner Abreise als erster ein Winterlager
aufgeschlagen.
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Velleius
Paterculus ist der einzige Zeitzeuge der uns von den Ereignissen
berichtet, und sich selbst in Germanien aufhielt. Geboren wurde er
um 20 v. Chr. und stammte aus einer ritterlichen Familie aus
Kampanien. Wie sein Vater und Großvater schlug er die
Militärlaufbahn ein. Germanien lernte er bei mehreren Feldzügen
unter Tiberius kennen. An der Varusschlacht nahm er selbst nicht
Teil, sondern er kämpfte vermutlich während dieser Zeit als Soldat
in Pannonien und Dalmatien. Seine Historia Romana verfasste er zu
Ehren seines Freundes Marcus Vinicius im Jahr 29/30 nach Christus.
Das kleine Werk gibt einen kurzen Überblick über die gesamte
römische Geschichte bis zum Jahre 30 n. Chr.. 1515 entdeckte man die
einzige Handschrift, die aber auch bald wieder verloren ging,
weshalb der heutige Text auf zwei Kopien dieser Handschrift beruht.
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(1) Ihr guten Götter, wie viele Bücher könnte man damit füllen, was wir im
folgenden Sommer unter der Führung des Tiberius Caesar alles vollbracht haben!
Unsere Heere durchzogen ganz Germanien, Völker wurden besiegt, die kaum vom
Namen her bekannt sind, und die Chauken wurden in die Obhut des römischen Volkes
aufgenommen. Ihre gesamte Kriegsmannschaft, unermesslich an Zahl, von enormer
Körpergröße, wohlgesichert durch die Natur ihres Landes, lieferte ihre Waffen
aus, und alle fielen zusammen mit ihren Führern vor dem Tribunal des Feldherrn
auf die Knie, rings umgeben von einem waffenblitzenden Ring unserer Soldaten.
(2) Geschlagen wurden auch die Langobarden, ein Volk, dass sogar die Germanen an
wildem Kriegsmut noch übertrifft. Ja, es geschah schließlich, was man niemals
zuvor zu hoffen gewagt, geschweige denn versucht hatte: Ein römisches Heer wurde
mit seinen Feldzeichen 400 Meilen vom Rhein bis zum Fluss Elbe geführt, der
durch das Gebiet der Semnonen und Hermonduren fließt. (3) Und dem
bewundernswerten Glück wie der Vorsorge des Feldherrn sowie seiner genauen
Beobachtung der Jahreszeiten war es zu danken, dass sich ebendort die Flotte
wieder mit Tiberius Caesar und seinem Heer vereinigte. Sie war die Meeresbuchten
entlang gesegelt, war aus diesem zuvor völlig unbekannten Meer in den Elbefluss
hinein und stromaufwärts gefahren und brachte außer Siegen über zahlreiche
Volksstämme auch eine reiche Fülle von Lebensmitteln aller Art mit sich.
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(1) Ich
kann es mir nicht versagen, diesen weltgeschichtlich bedeutsamen Ereignissen das
folgende Erlebnis beizufügen, mag es auch unbedeutend sein. Unser Heer hatte am
diesseitigen Ufer des genannten Flusses ein Lager aufgeschlagen, auf dem
jenseitigen aber blitzten die Waffen der feindlichen Krieger, die bei jedem
Manöver unserer Schiffe sogleich zurückwichen. Einer der Barbaren aber, ein
älterer Mann von stattlicher Größe und, wie seine Kleidung zeigte von hohem
Rang, stieg in einen Nachen – wie dort üblich , einen ausgehöhlten Baumstamm –
und ruderte allein mit diesem Fahrzeug bis auf die Mitte des Flusses. Von dort
bat er, ungefährdet zum Ufer, das wir besetzt hielten, kommen und den Caesar
sehen zu dürfen. (2) Das wurde ihm erlaubt. Darauf ruderte er den Kahn ans Ufer
und schaute den Caesar lange schweigend an. Schließlich sagte er: „ Unsere
jungen Leute sind nicht bei Sinnen, verehren sie doch in euerer Abwesenheit euer
göttliches Wesen; wenn ihr aber da seid, zeigen sie eher Angst vor euren Waffen,
anstatt sich eurem Schutz anzuvertrauen. Ich habe aber, dank deiner günstigen
Erlaubnis, Caesar, heute die Götter gesehen, von denen ich vorher nur gehört
hatte. Einen glücklicheren Tag habe ich in meinem Leben weder erhofft noch
erlebt.“ Nachdem ihm gestattet worden war, Caesars Hand zu fassen, stieg er
wieder in seinen Kahn und fuhr an sein Ufer zurück, wobei er Caesar unverwandt
anschaute. (3) Als Sieger über alle Völker und Gegenden, zu denen er gekommen
war, führte Tiberius Caesar die Legionen ins Winterlager zurück. Sein Heer war
ohne jegliche Verluste geblieben und hatte nur einmal eine Kraftprobe zu
bestehen, und zwar durch einen Hinterhalt der Feinde, was diesen aber einen
schwere Niederlage einbrachte. Mit der gleichen Eile wie im Vorjahr machte sich
Tiberius Caesar auf den Weg nach Rom.
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Ovid
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(1) Es blieb in Germanien nichts mehr zu erobern übrig, außer dem Volksstamm der
Markomannen. Diese waren unter ihrem Führer Marbod aus ihren bisherigen
Wohnsitzen aufgebrochen, hatten sich ins innere des Landes zurückgezogen und
bewohnten nun die Gegenden innerhalb des herkynischen Waldes.(2) Wenn ich auch
so rasch vorgehe, so darf ich doch diesen Mann nicht unerwähnt lassen. Marbod
war aus einem vornehmen Geschlecht und besaß einen kühnen Geist – mehr seiner
Abkunft als seinen geistigen Fähigkeiten nach ein Barbar. Seine Vorherrschaft
über seine Stammesgenossen hatte er sich nicht im Drang des Augenblicks mehr
zufällig ergeben, noch war vielmehr die Idee eines festgegründeten Reiches mit
königlicher Gewalt und beschloss daher, sein Volk weit von den Römern entfernt
an einen Ort zu bringen, wo er es, nachdem er der stärksten Macht gewichen war,
selbst zur stärksten machen konnte. Deshalb besetzte er die erwähnten Gegenden,
unterwarf sich alle Nachbarn entweder im Krieg oder gewann sie durch Verträge
für sich.
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(1) Die Truppe, die sein Reich schützte, bracht er durch beständige Übung fast
auf den Stand römischer Disziplin. In kurzer Zeit hatte er sie auf solche Höhe
gebracht, dass sie selbst unserem Reich bedrohlich erschien. Gegen die Römer
verhielt er sich so: Er vermied es, uns zum Krieg zu reizen, gab aber kund, dass
er, falls er selbst gereizt würde, die Kraft und den Widerstand besäße. (2) Die
Gesandten, die er zu den Caesars schickte, empfahlen ihn bald wie einen
Schutzflehenden, bald sprachen sie von ihm wie von einem Gleichrangigen.
Volksstämme und einzelne Personen, die von uns abfielen, fanden bei ihm einen
Zufluchtsort. Im ganzen verhielt er sich, was er nur schlecht verhehlte, als ein
Rivale Roms. Sein Heer, das er auf die Stärke von 70000 Fußsoldaten und 4000
Reitern gebracht hatte, übte er in beständigen Kriegen gegen die Nachbarvölker
und bereitete es so auf eine größere Aufgabe als die gegenwärtige vor. (3)
Marbod war auch deswegen zu fürchten, weil er zur Linken und vor sich Germanien,
zur Rechten Pannonien und im Rücken seines Gebietes die Noriker hatte. So wurde
er von allen gefürchtet, als würde er jeden Augenblick gegen sie alle vorrücken.
(4) Ja, er ließ auch Italien nicht die Möglichkeit, beim Anwachsen seiner Macht
ruhig zuzusehen, da zwischen den höchsten Alpenpässen, die Italiens Grenze
bilden, und der vorderen Grenzlinie seines Reiches nicht mehr als 200 Meilen
lagen. (5) Diesen Mann nun und diese Gegend beschloss Tiberius Caesar im
nächsten Jahr von verschiedenen Seiten her anzugreifen. Sentius Saturninus
erhielt den Auftrag, mit seinen Legionen durch das Gebiet der Chatten nach
Boiohaemum zu marschieren, so heißt die Gegend die Marbod bewohnt, und dabei
sollte er eine Bresche durch die undurchdringlichen Herkynischen Wälder
schlagen. Tiberius selbst wollte von Carnuntum aus, einem Ort im Königreich
Noricum, der jener Gegend am nächsten liegt, mit den Truppen, die in Illyrien
dienten, gegen die Markomannen aufbrechen.
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(1) Das Schicksal macht bisweilen die menschlichen Pläne zunichte, bisweilen
hält es sie auf. Tiberius Caesar hatte schon die Winterquartiere an der Donau
vorbereiten lassen und war mit seinem Heer bis auf fünf Tagesmärsche an die
Vorhut der Feinde herangerückt. (2) Die Legionen, die er unter Saturninus hatte
aufbrechen lassen, waren in fast gleicher Entfernung vom Feind und sollten sich
in wenigen Tagen am vereinbarten Ort mit Tiberius Caesar vereinigen. Ganz
Pannonien aber, übermütig durch die Segnungen eines langen Friedens und im
Vollbesitz seiner Kräfte, griff mit einem Mal zu den Waffen, nachdem es mit
Dalmatien und allen dortigen Völkerschaften Bündnisse geschaffen hatte.
(3) Da
wurde der Ruhm der Notwendigkeit geopfert: Es erschien gegen die belange der
Sicherheit, ein Heer im innersten Winkel des Landes zu vergraben und Italien
ungeschützt dem Angriff eines so nahen Feindes zu überlassen.
117(1)
Kaum hatte Tiberius Caesar die letzte Hand angelegt, um den pannonischen und
dalmatischen Krieg endgültig zu beenden, da brachten- nur fünf Tage, nachdem er
diese gewaltige Aufgabe beendet hatte- Depeschen aus Germanien die
Unglücksbotschaft, dass Varus getötet und drei Legionen niedergemetzelt seien,
dazu ebenso viele Reitergeschwader und sechs Kohorten. Es war gerade, als ob uns
das Schicksal dabei noch eine Gnade erwiesen hätte: dass nämlich unser Feldherr
zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf einem anderen Kriegschauplatz beschäftigt
war. Die Ursache der Katastrophe sowie die Person des Heerführers machen es
erforderlich, dass ich hierbei kurz verweile. (2) Quintilius Varus stammte aus
einer angesehenen, wenn auch nicht hochadeligen Familie. Er war von milder
Gemütsart, ruhigem Temperament, etwas unbeweglich an Körper und Geist,
mehr an
müßiges Lagerleben als an den Felddienst gewöhnt. Das er wahrhaft kein Verächter
des Geldes war, beweist seine Statthalterschaft in Syrien: Als armer Mann betrat
er das reiche Syrien, und als reicher Mann verließ er das arme Syrien.
(3) Als
er Oberbefehlshaber des Heeres in Germanien wurde, bildete er sich ein, die
Menschen dort hätten außer der Stimme und Gliedern nichts Menschenähnliches an
sich, und die man durch das Schwert nicht hatte zähmen können, die könne man
durch das römische Recht lammfromm machen,(4) Mit diesem Vorsatz begab er sich
in das innere Germaniens, und als habe er es mit Männern zu tun, die die
Annehmlichkeiten des Lebens genossen, brachte er die Zeit des Sommerfeldzugs
damit zu, von seinem Richterstuhl aus Recht zu sprechen und Prozessformalitäten
abzuhandeln.
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(1) Die Leute dort sind aber- wer es nicht erfahren hat, wird es kaum glauben-
bei all ihrer Wildheit äußerst verschlagen, ein Volk von geborenen Lügnern. Sie
erfanden einen Rechtstreit nach dem anderen; bald schleppte einer den anderen
vor Gericht, bald bedankten sie sich dafür, dass das römische Recht ihren
Händeln ein Ende mache, dass ihr ungeschlachtes Wesen durch diese neue und
unbekannte Einrichtung allmählich friedsam werde und, was sie bisher durch
Waffengewalt entschieden hätten, nun durch Recht und Gesetz beigelegt würde.
Dadurch wiegten sie Quintilius Varus in höchster Sorglosigkeit, ja, er fühlte
sich eher als Stadtprätor, der auf dem römischen Forum Recht spricht, denn als
Oberbefehlshaber einer Armee im tiefsten Germanien.(2) Es gab damals einen
jungen Mann aus vornehmen Geschlecht, der tüchtig im Kampf und rasch in seinem
Denken war, ein beweglicherer Geist, als es die Barbaren gewöhnlich sind.
Er
hieß Arminius und war der Sohn des Sigimer, eines Fürsten jenes Volkes. In
seiner Miene und in seinen Augen spiegelte sich sein feuriger Geist. Im letzten
Feldzug hatte er beständig auf unserer Seite gekämpft und hatte mit dem
römischen Bürgerrecht auch den Rang eines Ritters erlangt. Nun machte er sich
die Indolenz unseres Feldherrn für ein Verbrechen zunutze. Es war kein dummer
Gedanke von ihm, dass niemand leichter zu fassen ist als ein Nichtsahnender, und
dass das Unheil meistens dann beginnt, wenn man sich ganz sicher fühlt. (3) Erst
weihte er nur wenige, dann mehrere in seinen Plan ein. Die Römer könnten
vernichtet werden, das war seine Behauptung, mit der er auch überzeugte. Er ließ
den Beschlüssen Taten folgen und legte den Zeitpunkt für den Hinterhalt fest.
(4) Dies wurde dem Varus von Segestes hinterbracht, einem loyalen Mann jenes
Volkes mit angesehenem Namen. Er forderte Varus auf, die Verschwörer in Ketten
zu legen. Aber das Schicksal war schon stärker als die Entschlusskraft des
Varus, und hatte die Klarheit seines Verstandes völlig verdunkelt. Denn so geht
es ja: wenn ein Gott das Glück eines Menschen vernichten will, dann trübt er
meistens seinen Verstand und bewirkt damit- was das beklagenswerteste daran ist-
dass dieses Unglück scheinbar verdientermaßen eintrifft und sich Schicksal in
Schuld verwandelt. Varus wollte es also nicht glauben und beharrte darauf, die
offensichtlichen Freundschaftsbezeugungen der Germanen gegen ihn als Anerkennung
seiner Verdienste zu betrachten. Nach diesem ersten Warner blieb für einen
zweiten keine Gelegenheit mehr.
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(1) Den Ablauf dieser schrecklichen Katastrophe – die schwerste Niederlage der
Römer gegen auswärtige Feinde seit der des Crassus gegen die Pharter werde ich
wie schon andere es getan haben, in meinem größeren Geschichtswerk ausführlich
darzustellen versuchen, hier sei des Ereignisses nur mit Trauer gedacht.
(2) Die
tapferste Armee von allen, führend unter den römischen Truppen, was Disziplin,
Tapferkeit und Kriegserfahrung angeht, wurde durch die Indolenz des Führers, die
betrügerische List des Feindes und die Ungunst des Schicksals in einer Falle
gefangen. Weder zum Kämpfen noch zum Ausbrechen bot sich ihnen, so sehnlich sie
es sich auch wünschten, ungehindert Gelegenheit, ja, einige mussten sogar schwer
dafür büßen, dass sie als Römer ihre Waffen und ihren Kampfgeist eingesetzt
hatten. Eingeschlossen in Wälder und Sümpfe, in einem feindlichen Hinterhalt,
wurden sie Mann für Mann abgeschlachtet, und zwar von dem selben Feind, den sie
ihrerseits stets wie Vieh abgeschlachtet hatten- dessen Leben und Tod von ihrem
Zorn oder ihrem Mitleid abhängig gewesen war. (3) Der Führer hatte mehr Mut zum
Sterben als zum Kämpfen. Nach dem Beispiel seines Vaters und Großvaters
durchbohrte Varus sich selbst mit dem Schwert. (4) Von den beiden Lagerpräfekten
aber gab der eine, L. Eggius, ein heldenhaftes, der andere, Ceionius, ein
Erbärmliches Beispiel. Der letztere bot, nachdem der größere Teil des Heeres
schon umgekommen war, die Übergabe an: Er wollte lieber hingerichtet werden als
im Kampf sterben. Numonius Vala aber, ein Legat des Varus, sonst ein ruhiger und
bewährter Mann, gab ein abschreckendes Beispiel: Er beraubte die Fußsoldaten des
Schutzes durch die Reiterei, machte sich mit den Schwadronen auf die Flucht und
suchte den Rhein zu erreichen. Jedoch das Schicksal rächte seine Schandtat: Er
überlebte seine Kameraden nicht, von denen er desertiert war, sondern fand als
Deserteur den Tod. (5) Den halbverkohlten Leichnam des Varus rissen die Feinde
in ihrer Rohheit in Stücke. Sie trennten sein Haupt ab und sandten es zu Marbod.
Dieser wieder schickte es zu Caesar Augustus, der ihm trotz allem die Ehre eines
Familienbegräbnisses gewährte.
120
(1) Auf diese Nachricht hin machte sich Tiberius Caesar in fliegender Eile auf
zu seinem Vater. Als ständiger Schutzherr des römischen Reiches übernahm er
seine angestammte Aufgabe. Er wurde nach Germanien entsandt, sicherte die
gallischen Provinzen, verteilte die Armeen, verstärkte die Besatzungen und bemaß
seine Aussichten nach seinem eigenen Feldherrentalent und nicht nach der
Siegeszuversicht der Feinde, die Italien mit einem neuen Kimbern und
Teutonenkrieg drohten. (2) So überschritt er seinerseits mit dem Heer den Rhein
und trug den Krieg ins Land des Feindes, während sein Vater und sein Vaterland
sich mit der Abwehr begnügt hatten. Er drang ins Landesinnere ein, legte die
Grenzwege offen, verwüstete die Äcker, brannte die Häuser nieder, schlug alle,
die sich ihm entgegen stellten, und kehrte mit Ruhm bedeckt und ohne jeglichen
Verlust bei seinen Truppen, die er über den Rhein geführt hatte, ins Winterlager
zurück. (3) Hier soll nun auch L. Asprenas mit Fug und Recht Erwähnung finden.
Er war Legat unter seinem Onkel Varus gewesen und hatte durch sein tapferes,
mannhaftes Verhalten das aus zwei Legionen bestehende Heer, das er befehligte,
unversehrt aus der großen Katastrophe gerettet. Und in dem er in Eilmärschen in
die Winterquartiere Germaniens zog, bestärkte er die diesseits des Rheines
wohnenden Völker, die schon schwankend geworden waren, in ihrer Treue. Dennoch
gibt es Leute, die glauben, er habe zwar die Lebenden gerettet, aber auch die
Hinterlassenschaft der mit Varus Umgekommenen an sich gebracht und nach seinem
Belieben die Erbschaft de getöteten Soldaten angetreten. (4) Lobende Erwähnung
verdient ebenso die Tapferkeit des Lagerpräfekten L. Caedicus und seiner
Soldaten, die mit ihm in Aliso eingekesselt und von den Germanen mit einer
ungeheueren Truppenmacht belagert wurden. Sie meisterten ihre schwierige Lage,
die der Mangel an Lebensmitteln schier unerträglich und die Übermacht der Feinde
fast aussichtslos gemacht hatte. Dabei verließen sie sich weder auf tollkühne
Entschlüsse noch auf zauderndes hin- und Herüberlegen, sondern fassten eine
günstige Gelegenheit ins Auge und schlugen sich mit dem Schwert in der Hand zu
ihren Kameraden durch. (5) Hieraus ersieht man, dass Varus, durchaus ein Mann
mit den besten Absichten, sein Leben und seine großartige Armee eher wegen
seiner Schwäche als Feldherr verlor und nicht, weil ihn die Soldaten mit
mangelnder Tapferkeit im Stich gelassen hätten. (6) Als die Germanen gegen die
Gefangenen wüteten, zeichnete sich der junge Caelius Caldus, ein würdiger Spross
seiner altberühmten Familie, durch eine tapfere Tat aus. Er schmetterte ein Ende
der Kette, mit der er gefesselt war, mit solcher Wucht gegen seinen Kopf, dass
sein Blut und sein Gehirn ausflossen und er sogleich sein Leben aushauchte.
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(1) Mit der gleichen Tatkraft und dem Kriegsglück wie zu Anfang drang der
Imperator Tiberius in der folgenden Zeit in Germanien ein. Er brach die Macht
des Feindes durch Kriegszüge mit der Flotte und mit dem Landheer, ordnete die
schwierigen Verhältnisse in Gallien und besänftigte die erhitzten Gemüter der
aufständischen Bürger von Vienna, und zwar mehr durch strenges Auftreten als
durch Strafen.
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(2) Und als er nach seiner Adoption in einer dreijährigen ununterbrochenen
Kampagne Germanien unterworfen hatte – hätte er da nicht die gleichen Ehren
erhalten und annehmen müssen? Und als sich nach der Niederlage des Varus die
Dinge rascher als erwartet zum Guten wandten und Germanien vernichtend
geschlagen war – hätte da nicht dieses Germanien dem großen Feldherrn zur Zierde
seines Triumphes dienen müssen?
Aus
Giebel
Marion: Velleius Paterculus - Historia Romana/ Reclam
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