In diesem Zusammenhang sind
die Aussagen vom Geschichtsschreiber
Frontinius auch in einem anderen Licht zu sehen. Frontinius
erwähnt in seiner Strategema nur Geschehnisse die im Zusammenhang
mit der Belagerung des Kastells
Aliso
stehen. Das ist in soweit bemerkenswert, als dass dieser Autor in
diesem Werk alle Arten verschiedenster Kriegslisten erörtert, die in
irgendeiner Weise von den Römern, oder gegen sie angewandt worden
sind. Der Hinterhalt, der von Arminius und seinen Verbündeten gegen
die Römer angewandt wurde, nötigt ihn jedoch keine Zeile ab. Das
lässt im Grunde nur zwei Rückschlüsse zu. Zum einen, dass dieser
Hinterhalt nicht so außergewöhnlich und genial war als dass er eine
Würdigung verdiente (was nach Lage der Dinge unwahrscheinlich
scheint), oder er hatte gleichfalls keine Möglichkeit, sich durch
verwertbare Aufzeichnungen über den genauen Hergang des
Schlachtverlaufes zu informieren. Erst
Cassius Dio schreibt etwa zweihundert
Jahre nach der Niederlage einen detailreichen Schlachtbericht, der
sich in vielen Belangen von den Beschreibungen der andern
Geschichtsschreiber unterscheidet. Es scheint als hätte dieser
Mangel an wahrheitsgemäßen Schlachtberichten von Zeitzeugen der
Varusschlacht, Dio die Gelegenheit gegeben seiner Phantasie freien
Lauf zu lassen.
Durch diese unsichere
Quellenlage ist es unmöglich alle histographischen Schriftsteller
gemeinsam im Verhältnis „eins zu eins“ zu übernehmen, um so zum
wahren Ort der Varusschlacht zu gelangen. Denn die antiken Autoren
widersprechen sich oftmals zu sehr in ihren einzelnen Abschätzungen
über den Ablauf des Geschehens und in ihren Beschreibungen der
gesuchten Örtlichkeiten. So kann die gleichzeitige Zuhilfenahme
aller bekannten Darstellungen über dieses Ereignis nicht der
richtige Weg sein, um an das erstrebte Ziel der Aufklärung dieser
längst vergangenen Zeit zu gelangen. Auf diese Art den Versuch zu
unternehmen die damaligen Ereignisse aufzuklären würde zwangsläufig
bedeuten, dass immer wieder einige Aussagen in den einzelnen
Überlieferungen unterschlagen oder zurechtgebogen werden müssen, um
ein annehmbares und bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Über diesen
Weg sind bisher die meisten Historiker zur Schlachtortsuche
gegangen, mit dem Erfolg einer fast unübersehbaren Fülle von
angeblichen Schlachtfeldern, Angrivarierwällen, Grabhügeln und
Römerlagern, wobei bisher keine dieser Theorien ein in sich
schlüssiges Resultat aufweisen kann. Trotzdem muss irgendwo, bei
grundsätzlich aller Vorsicht im Bezug auf Quellenlagen, in den
vielfältigen historischen Überlieferungen ein Schlüssel zur
Wahrheitsfindung liegen. Um diesen Schlüssel doch zu entdecken muss
zuvor die Glaubwürdigkeit der einzelnen Autoren überprüft werden.
Dabei sind die Behauptungen von den am unglaubwürdigsten scheinenden
Berichterstattern zunächst in ihrer Gesamtheit auszugrenzen, um
nicht durch Fehlinformationen in ihren Aussagen auf falsche
Fährten geleitet zu werden. Sie werden nur in Ausnahmefällen zur
Wahrheitsfindung herangezogen.
Nach
dieser Beurteilung sind die überzeugendsten und zugleich gehaltvollsten
Aufzeichnungen die uns über die Zusammenhänge mit der Varusschlacht
berichten und uns gleichzeitig verwertbare Ortsangaben überlassen, die
des Velleius Paterculus und
Cornelius Tacitus. Diese beiden Verfasser
lassen sich bei den Darstellungen der Handlungsabläufe fast
deckungsgleich überlagern und ergänzen sich gegenseitig bei ihren
Ortsbeschreibungen. Zwar widersprechen sie sich grundlegend, wenn es um
die politische Charakterisierung von Tiberius als Heerführer und Caesar
geht, aber dieser Unterschied verhindert nicht den relativen Wahrheitsgehalt
über die Vorgänge im Inneren Germaniens. So gilt Paterculus als Lobredner des Prinzipats und als der
Schmeichler des Tiberius. Die Motivation zu diesem Verhalten liegt wohl
darin, dass er zur Regierungszeit des Tiberius seine Historia Romana verfasste
und sich aus Rücksichtnahme gegenüber seines eigenen Leib und Lebens keine zu harsche Kritik am System
oder Prinzipat erlauben konnte. Im
Gegensatz dazu, ist aus den Annalen von Tacitus, die mehr als einhundert
Jahre nach den Geschehnissen abgefasst wurde und damit genügend Abstand
zur seinerzeitigen Machtstruktur erlaubte, eine tiefe Abneigung zum
Caesar Tiberius herauszulesen. Unabhängig von den persönlichen
politischen Bewertungen der Ereignisse, sind beide Aussagen als am authentischsten
zu betrachten wenn es um die Lokalisierung der gesuchten Örtlichkeiten
und den Ablauf des einstmaligen Geschehens geht.
Zum
einen war Velleius Paterculus ein Zeitzeuge der Varusschlacht und stand
noch unter dem Eindruck des Geschehens das zu der Zeit seiner
Niederschrift noch keine Möglichkeit zuließ es übermäßig zu
idealisieren oder zu verfälschen. Da dieses für Rom schreckliche
Ereignis noch in den Köpfen seiner Landsleute gegenwärtig war, konnte
Paterculus die Tatsachen nicht verdrehen. Zum anderen gilt er
gleichzeitig als ein Teilnehmer der Tiberiusfeldzüge in Germanien, und
war infolgedessen jemand der die geographischen Gegebenheiten und die
ethnischen Unterschiede zu den Germanen in diesem Landstrich kannte und sie so
aus erster Hand seinen Lesern wiedergeben konnte.
Ähnliche
Voraussetzungen gelten für die Schriften von Cornelius Tacitus. Obwohl
ihm beispielsweise Theodor Mommsen die Eignung zum Geschichtsschreiber
aberkannte, muss man in Tacitus den Berichterstatter sehen der uns als
glaubhafter Gewährsmann zu den gesuchten Örtlichkeiten führen kann. Etwa
einhundert Jahre nach der Clades Variana schreibt er in seinen Annalen zwar
nicht direkt über die Varusschlacht selbst, aber recht ausführlich über die
Jahre 14/15 und 16 n. Chr., während
denen Germanicus mehrere große Feldzüge gegen die Germanen führte. Unter
anderem suchte der römische Feldherr während dieser Unternehmungen auch
das Schlachtfeld der unter Varus vernichteten Legionen auf.
Vor
allem die Tatsache, dass Tacitus einige Zeit vor der Niederschrift der
Annalen die Germania zu Papier bringt, worin er sehr ausführlich und
offenkundig gut recherchiert über den Lebensraum und die Gewohnheiten
der Germanen berichtet, machen ihn gleichfalls zu einem Kronzeugen
erster Klasse. Tacitus wusste wovon er schrieb wenn er
Ortsbezeichnungen abgab und Gegenden darstellte. Auch sind seine relativ
sachlichen Schilderungen der Abläufe um die Germanicusfeldzüge ein
Indiz für einen ausreichenden Wahrheitsgehalt in seinen Ausführungen.
Seine Quellen bezog er aus den uns nicht überlieferten Berichten des Aufidius Bassus und Plinius dem Älteren, der die Geschichte der
Germanenkriege in zwanzig Büchern verfasste. Ihm als Senator waren auch
Senatsprotokolle zugänglich und er benutzte sie auch für seine
Recherche, so dass man durchaus seine Informationsgrundlage gleichfalls als aus
„erster Hand“ bezeichnen kann. Auch dadurch dass er auch germanische
Sichtweisen und Verhaltensmuster ausführlich darstellt, lässt auf eine
gewisse Objektivität in seinen Ausführungen schließen. Aber gerade die
Ausführungen des Tacitus wurden, wenn es vielen Varusschlachtsuchern
darum ging ihre eigene Schlachtorttheorie aufzustellen, aufgrund ihrer
präzisen und damit eindeutigen Aussagen verbogen und teilweise
unterschlagen und, was nicht genug ist, oftmals sogar seine
Glaubwürdigkeit abgesprochen.