Tacitus Publius
Cornelius
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Germania
6. Auch an
Eisen ist kein Überfluss, wie die Art der Bewaffnung zeigt. Nur wenige haben ein
Schwert oder eine größere Lanze. Sie tragen Speere oder wie sie selbst sagen,
Framen, mit schmaler und kurzer Eisenspitze, die jedoch so scharf und handlich
ist, dass sie dieselbe Waffe je nach Bedarf für den Nah- oder Fernkampf
verwenden können. Selbst der Reiter begnügt sich mit Schild und Frame; die
Fußsoldaten werfen auch kleine Spieße, jeder mehrere, und sie schleudern sie
ungeheuer weit: sie sind halb nackt oder tragen nur einen leichten Umhang.
Prunken mit Waffenschmuck ist ihnen fremd; nur die Schilde bemalen sie mit
auffallenden Farben. Wenige haben einen Panzer, kaum der eine oder andere einen
Helm oder eine Lederkappe. Ihre Pferde zeichnet weder Schönheit noch
Schnelligkeit aus. Sie werden auch nicht, wie bei uns, zu kunstvollen Wendungen
abgerichtet; man reitet geradeaus oder mit einmaliger Schwenkung nach rechts,
und zwar in so geschlossener Linie, dass niemand zurückbleibt. Aufs ganze
gesehen liegt ihre Stärke mehr beim Fußvolk; daher kämpfen sie auch in
gemischten Verbänden. Hierbei passt sich die Behändigkeit der Fußsoldaten genau
dem Reiterkampfe an: man stellt nur Leute vor die Schlachtreihe, die aus der
gesamten Jungmannschaft ausgewählt sind. Auch ist ihre Zahl begrenzt: aus jedem
Gau sind es hundert, und eben hiernach werden sie bei ihnen genannt, und was
ursprünglich nur eine Zahlbezeichnung war, gilt nunmehr auch als Ehrenname. Zum
Kampfe stellt man sich in Keilen auf. Vom Platz zu weichen, wenn man nur wieder
vordringt, hält man eher für wohlbedacht, nicht für feige. Ihre Toten bergen sie
auch in unglücklicher Schlacht. Den Schild zu verlieren, ist eine Schmach
ohnegleichen, und der so Entehrte darf weder an Opfern teilnehmen noch eine
Versammlung besuchen und so mancher der heil aus dem Kriege zurückkehrte, hat
seiner Schande mit dem Strick ein Ende gemacht.
7. Könige
wählen sie nach Maßgabe des Adels, Heerführer nach der Tapferkeit. Selbst die
Könige haben keine unbeschränkte oder freie Herrschergewalt, und die Heerführer
erreichen mehr durch ihr Beispiel als durch Befehle: sie werden bewundert, wenn
sie stets zur Stelle sind, wenn sie sich auszeichnen, wenn sie in vorderster
Linie kämpfen. Übrigens ist es nur den Priestern erlaubt, jemanden hinzurichten,
zu fesseln oder auch nur zu schlagen, und sie handeln nicht, um zu strafen oder
auf Befehl des Heerführers, sondern gewissermaßen auf Geheiß der Gottheit, die,
wie man glaubt, den Kämpfenden zur Seite steht. Deshalb nehmen die Germanen auch
gewisse Bilder und Zeichen, die sie aus den heiligen Hainen holen, mit in die
Schlacht. Besonders spornt sie zur Tapferkeit an, dass nicht Zufall und
willkürliche Zusammenrottung, sondern Sippen und Geschlechter die Reiterhaufen
oder die Schlachtkeile bilden.
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Alles was man
über Tacitus’ (um 55 n. Chr. bis ca. 115 n. Chr.) Leben weiß, stammt entweder aus
seinen eigenen Werken oder aus Briefen des römischen Staatsmannes und Redners
Plinius des Jüngeren, mit dem Tacitus eng befreundet war. In Rom geboren,
bekleidete er im Jahre 79 n. Chr. vermutlich das Amt des Quästors, war 88 Prätor
und 97 Konsul; um 112/113 war er vermutlich Prokonsul der Provinz Asia. Erst in
den letzten Jahrzehnten seines Lebens konnte er sich seiner
historisch-literarischen Arbeit, von der weniger als die Hälfte erhalten ist,
widmen. Tacitus begann mit der Veröffentlichung seiner Werke erst nach der
Gewaltherrschaft Domitians.
Das zweite
der so genannten kleinen Werke des Tacitus trägt den Titel Germania
(ca. 98 n. Chr.) und ist eine geographisch- völkerkundlerische
Schrift über Germanien. Die Historien, das erste von Tacitus beiden
Hauptwerken, wurde wahrscheinlich zwischen 104 und 109 n. Chr.
veröffentlicht. Es beinhaltet die Geschichte des Römischen Reiches
von 69 v. Chr. bis zur Ermordung des Kaisers Domitian im Jahre 96 n.
Chr. Vom ursprünglichen Werk, dass wahrscheinlich aus 14 Büchern
bestand, sind nur die ersten vier und Teile des fünften Teils
erhalten. Die Annalen (ca. 115-117 n. Chr.) beschreiben die
Geschichte der römischen Kaiser nach Augustus bis zum Tod Domitians,
also den Zeitraum von 14 bis 68 n. Chr. Ursprünglich umfasste dieses
Werk 16 Bücher, davon sind aber neben einigen Fragmenten, nur neun
Bücher vollständig erhalten.
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13.
Niemals, weder bei Sachen der Gemeinde noch bei eigenen, erledigen sie etwas
anderes als in Waffen. Doch darf keiner Waffen tragen, ehe ihn der Stamm für
wehrfähig erklärt. Das geschieht in öffentlicher Versammlung: eines der
Stammesoberhäupter oder der Vater oder Verwandte wappnen den jungen Mann mit
Schild und Frame. Dies ist das Männerkleid der Germanen, dies die erste Zier der
Jugend; vorher zählen sie nur zu Hause, von jetzt an zum Gemeinwesen. Hohe
Abkunft oder große Verdienste der Väter verschaffen auch ganz jungen Leuten die
Gunst eines Gefolgsherrn; sie werden den anderen zugestellt, die schon stärker
und längst erprobt sind. Es ist auch keine Schande, unter den Gefolgsleuten zu
erscheinen. Ja, innerhalb der Gefolgschaft gibt es sogar Rangstufen, nach der
Bestimmung dessen, wem man sich anschließt. Und es herrscht lebhafter Wetteifer:
der Gefolgsleute, wer die erste stelle beim Gefolgsherrn einnimmt, und der
Gefolgsherrn, wer das größte Gefolge hat. So kommt man zu Ansehen, so zu Macht;
Stets von einer großen Schar auserlesener junger Männer umgeben zu sein, ist im
Frieden eine Zier, im Kriege ein Schutz. Und nicht nur im eigenen Stamme, auch
bei den Nachbarn ist bekannt und berühmt, wer sich durch ein zahlreiches und
tapferes Gefolge hervortut. Denn ihn umwirbt man durch Gesandte und ehrt man
durch Geschenke, und schon sein Ruf verhindert oft einen drohenden Krieg.
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Ovid
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14.
Kommt es zur Schlacht, ist es schimpflich für den Gefolgsherrn, an Tapferkeit
zurückzustehen, schimpflich für das Gefolge, es dem Herrn nicht gleichzutun.
Doch für das ganze Leben lädt Schmach und Schande auf sich, wer seinen Herrn
überlebend aus der Schlacht zurückkehrt: in zu schirmen und zu schützen, auch
die eigenen Heldentaten ihm zum Ruhme anzurechnen, ist des Dienstes heiligste
Pflicht. Die Herren kämpfen für den Sieg, die Gefolgsleute für den Herrn. Wenn
der Heimatstamm in langer Friedensruhe erstarrt, suchen viele der jungen Adligen
auf eigene Faust Völkerschaften auf, die gerade einen Krieg führen; denn Ruhe
behagt diesem Volke nicht, und inmitten von Gefahren wird man leichter berühmt.
Auch lässt sich ein großes Gefolge nur durch Gewalttat und Krieg unterhalten.
Die Gefolgsleute erwarten nämlich von der Huld ihres Herrn ihr Streitross, ihre
blutige und Siegbringende Frame. Denn die Mahlzeiten und die wenn auch
einfachen, so doch reichlichen Schmausereien gelten als Sold. Die Mittel zu
diesem Aufwand bieten Kriege und Raub. Und nicht so leicht könnte man einen
Germanen dazu bringen, das Feld zu bestellen und die Ernte abzuwarten, als den
Feind herauszufordern und sich Wunden zu holen; es gilt sogar für träge und
schlaff, sich mit Schweiß zu erarbeiten, was man mit Blut erringen kann.
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Sitemap
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16.
Dass die Völkerschaften der Germanen keine Städte bewohnen, ist hinreichend
bekannt, ja dass sie nicht einmal zusammenhängende Siedlungen dulden. Sie hausen
einzeln und gesondert, gerade wie ein Quell, eine Fläche, ein Gehölz ihnen
zusagt. Ihre Dörfer legen sie nicht in unsere Weise an, dass die Gebäude
verbunden sind und aneinander stoßen: jeder umgibt sein Haus mit freiem Raum,
sei es zum Schutz gegen Feuersgefahr, sei es aus Unkenntnis im Bauen. Nicht
einmal Bruchsteine oder Ziegel sind bei ihnen im Gebrauch; zu allem verwenden
sie unbehauenes Holz, ohne auf ein gefälliges oder freundliches Aussehen zu
achten. Einige Flächen bestreichen sie recht sorgfältig mit einer so
blendendweißen Erde, dass es wie Bemalung und farbiges Linienwerk aussieht. Sie
schachten auch oft im Erdboden Gruben aus und bedecken sie mit reichlich Dung,
als Zuflucht für den Winter und als Fruchtspeicher. Derartige Räume schwächen
nämlich die Wirkung der strengen Kälte, und wenn einmal der Feind kommt, dann
verwüstet er nur, was offen daliegt; und doch das Verborgene und Vergrabene
bemerkt er nicht, oder es entgeht ihm deshalb, weil er erst danach suchen
müsste.
28.
Auch die Ubier schämen sich ihres Ursprungs nicht, obwohl ihnen ihre Verdienste
die Stellung einer römischen Kolonie eingebracht haben und sie sich lieber nach
der Gründerin ihrer Stadt als Agrippinenser bezeichnen. Sie haben vor Zeiten den
Rhein überschritten und wurden, da ihre Treue sich bewährte, unmittelbar am Ufer
angesiedelt, als Wächter, nicht als Bewachte.
29.
Von allen diesen Stämmen sind die Bataver am tapfersten. Sie bewohnen einen
Streifen am linken Ufer und in der Hauptsache die Rheininsel. Ursprünglich ein
Zweig der Chatten, zogen sie wegen inneren Zwistes in die jetzigen Wohnsitze, wo
sie dem römischen Reich einverleibt werden sollten. Die Ehre und Auszeichnung
alter Bundesgenossenschaft hat bis heute bestand; denn kein Zins demütigt sie,
und kein Steuerpächter presst sie aus. Frei von Lasten und Abgaben und einzig
Kampfzwecken vorbehalten, werden sie wie Wehr und Waffen für Kriege aufgespart.
30.
Weiter nördlich beginnt mit dem herkynischen Walde das Land der
Chatten; sie wohnen nicht in so flachen und sumpfigen Gebieten wie die übrigen
Stämme, die das weite Germanien aufnimmt. Denn die Hügel dauern an und werden
erst allmählich seltener, und so begleitet der herkynische Wald seine Chatten
und endet mit ihnen. Bei diesem Volk sind kräftiger die Gestallten, sehnig die
Glieder, durchdringend der Blick und größer die geistige Regsamkeit. Für
Germanen zeigen sie viel Umsicht und Geschick: sie stellen Männer ihrer Wahl an
die Spitze, gehorchen den Vorgesetzten, und kennen Reih und Glied, nehmen
günstige Umstände wahr, verschieben einmal einen Angriff, teilen sich ein für
den Tag, verschanzen sich für die Nacht; das Glück halten sie für Unbeständig
und nur die eigene Tapferkeit für beständig. Und was überaus selten und sonst
allein römischer Kriegszucht möglich ist: sie geben mehr auf die Führung als auf
das Heer. Ihre Stärke liegt ganz beim Fußvolk, dem sie nicht nur Waffen, sondern
auch Schanzzeug und Verpflegung aufbürden: andere sieht man in die Schlacht
ziehen, die Chatten in den Krieg. Selten kommt es zu Streifzügen und nicht
geplanten Kampf. Es ist ja auch die Art berittener Streitkräfte, rasch den Sieg
zu erringen und rasch wieder zu entweichen; doch Schnelligkeit grenzt an Furcht,
Zögern kommt standhaften Mute näher.
31.
Ein Brauch, der auch bei anderen germanischen Stämmen vorkommt, jedoch selten
und als Beweis vereinzelten Wagemuts, ist bei den Chatten allgemein üblich
geworden: mit dem Eintritt in das Mannesalter lassen sie Haupthaar und Bart
wachsen, und erst, wenn sie einen Feind erschlagen haben, beseitigen sie diesen
der Tapferkeit geweihten und verpfändeten Zustand ihres Gesichtes. Über dem Blut
und der Waffenbeute enthüllen sie ihre Stirn und glauben, erst jetzt die Schuld
ihres Daseins entrichtet zu haben und des Vaterlandes sowie ihrer Eltern würdig
zu sein. Die Feigen und Kriegscheuen behalten ihren Wust. Die Tapfersten tragen
überdies einen eisernen Ring- sonst eine Schande bei diesem Stamme- wie eine
Fessel, bis sie sich durch Tötung eines Feindes davon befreien. Vielen Chatten
gefällt dieses Aussehen, und sie werden Grau mit ihren Kennzeichen, von Freund
und Feind gleichermaßen beachtet. Sie eröffnen jeden Kampf; sie sind stets das
vordere Glied, ein befremdender Anblick; denn auch im Frieden nimmt ihr Gesicht
kein milderes Aussehen an. Keiner von ihnen hat Haus oder Hof oder sonstige
Pflichten; wen immer sie aufsuchen, von dem lassen sie sich je nach den
Verhältnissen bewirten; sie sind Verschwender fremden und Verächter eigenen
Gutes, bis das kraftlose Alter sie zu so rauem Kriegerdasein unfähig macht.
32.
Den Chatten zunächst, wo der Rhein noch ein festes Bett hat und als Grenzscheide
genügt, wohnen die Usiper und Tenkterer. Die Tenkterer überragen den üblichen
Kriegsruhm durch ihre vorzüglich geschulte Reiterei, und ebenso großes Ansehen
wie das Fußvolk der Chatten genießt die Reitertruppe der Tenkterer. So führten
es die Vorfahren ein und halten es auch die Nachkommen; hierin besteht das Spiel
der Kinder, hierin der Wetteifer der Jugend und die ständige Übung der Alten.
Wie das Gesinde, der Wohnsitz und alle Rechte der Nachfolge vererben sich auch
die Pferde; ein Sohn empfängt sie, doch nicht, wie alles andere, der
Erstgeborene, sondern jeweils der Streitbarste und tapferste.
33.
In der Nähe der Tenkterer stieß man einst auf die Brukterer; jetzt sind, wie es
heißt, die Chamaver und Angrivarier dorthin gezogen. Denn die verbündeten
Nachbarstämme hatten die Brukterer geschlagen und gänzlich ausgerottet, aus
Erbitterung über ihren Hochmut oder aus Beutelust oder weil die Götter uns eine
Gunst erzeigten; denn sie gewährten uns sogar das Schauspiel der Schlacht. Über
Sechzigtausend sind dort gefallen, nicht durch römische Wehr und Waffen,
sondern, was noch erhebender ist, ganz zu unserer Augenweide. Es bleibe, so
flehe ich, und bestehe fort bei diesen Völkern, wenn nicht Liebe zu uns, so doch
gegenseitiger Hass; denn bei dem lastenden Verhängnis des Reiches kann das
Geschick nichts besseres mehr darbieten als die Zwietracht der Feinde.
34.
An die Angrivarier und Chamaver schließen sich südostwärts die Dulgubnier und
Chasuarier an sowie andere, weniger bekannte Stämme; im Norden folgen die
Friesen. Nach der Volkszahl unterscheidet man Groß- und Kleinfriesen. Beide
Stämme werden bis zum Weltmeer hin vom Rheine eingesäumt und umgeben zudem
unermessliche Seen, auf denen schon Römische Flotten gefahren sind. Ja, selbst
auf das Weltmeer haben wir uns dort hinausgewagt, und wie die Kunde verbreitet,
gibt es da noch Säulen des Herkules, mag der Held wirklich dorthin gelangt sein
oder mögen wir uns angewöhnt haben, alles Großartige in der Welt mit seinem
berühmten Namen zu verbinden. Auch hat es dem Drusus Germanicus an Wagemut nicht
gefehlt, doch hat die See verhindert, dass man sich über sie und zugleich über
Herkules Gewissheit verschaffe. Hiernach hat sich niemand mehr getraut, und es
galt für frömmer und ehrfürchtiger, an die Taten der Götter zu glauben als von
ihnen zu wissen.
35.
Bis jetzt haben wir Germanien nach Westen hin kennen gelernt; nach Norden
springt es in riesiger Ausbuchtung zurück. Und sogleich an erster Stelle zieht
sich der Stamm der Chauken, der bei den Friesen beginnt und einen Teil der Küste
besitzt, an der Seite sämtlicher von mir erwähnter Stämme hin und reicht mit
einem Zipfel bis ins Land der Chatten. Dieses unermessliche Gebiet nennen die
Chauken nicht nur ihr eigen, sie füllen es vielmehr auch aus, ein unter den
Germanen sehr angesehener Stamm, der es vorzieht, seine Größe durch
Rechtlichkeit zu behaupten. Frei von Habgier, frei von Herrschsucht, leben sie
still und für sich; sie reizen nicht zum Kriege, sie gehen nicht auf Raub oder
Plünderung aus. Das ist der vorzüglichste Beweis ihres Mutes und ihrer Macht,
dass sie ihre Überlegenheit nicht auf Gewalttaten gründen. Doch haben alle die
Waffen zur Hand, und sooft es die Not erfordert, steht ein Heer bereit,
zahlreich an Männern und Pferden. Auch wenn sie Frieden haben ist ihr Ruf der
gleiche.
36. Als Nachbarn der Chauken und Chatten gaben sich die Cherusker unbehelligt einem
allzu langen und erschlaffenden Frieden hin. Der brachte ihnen mehr Behagen als
Sicherheit; denn es ist verfehlt, unter Herrschsüchtigen und Starken der Ruhe zu
pflegen. Wo das Faustrecht gilt, sind Mäßigung und Rechtschaffenheit Namen, die
nur dem Überlegenen zukommen. So werden die Cherusker, die einst die guten und
gerechten hießen, jetzt Tölpel und Toren genannt; den siegreichen Chatten
rechnet man das Glück als Klugheit an. Der Sturz der Cherusker riss auch die
Foser mit sich, einen benachbarten Stamm; im Missgeschick sind die ‚Bündner
gleichen Rechts, während sie im Glück zurückstehen mussten.
37.
In derselben Ausbuchtung, unmittelbar am Meere, wohnen die Kimbern, jetzt eine
kleine Völkerschaft, doch gewaltig an Ruhm. Von der einstigen Geltung sind
weithin Spuren erhalten, ausgedehnte Laderplätze jenseits und diesseits des
Rheines, an deren Umfang man jetzt die ungeheure Arbeitskraft dieses Stammes und
die Glaubwürdigkeit des großen Wanderzuges ermessen kann. Sechshundertvierzig
Jahre zählte unsere Stadt, als man unter dem Konsulat des Caelius Metellus und
Papirius Carbo zum ersten Male von den Waffentaten der Kimbern vernahm. Rechnen
wir von da ab bis zum zweiten Konsulat des Kaisers Trajan, dann ergeben sich
ungefähr Zweihundertzehn Jahre: so lange schon wird Germanien besiegt! Im
Verlauf dieser langen Zeit erlitten beide Seiten schwere Verluste. Nicht der
Samnite, nicht der Punier, nicht die spanischen oder die gallischen Lande, ja
nicht einmal die Parther machten öfter von sich reden: stärker noch als die
Königsmacht des Arsakes ist das Freiheitsstreben der Germanen. Denn was kann uns
der Osten weiter vorhalten als den Untergang des Crassus? Dafür büßte er
seinerseits den Parcorus ein und musste sich einen Ventidius beugen. Anders die
Germanen: sie haben Carbo und Maximus Mallius geschlagen oder gefangen genommen
und zugleich dem römischen Volke fünf konsularische Heere entrissen, ja sogar
dem Kaiser Augustus den Varus und mit ihm drei Legionen, und nicht ohne eigene
Verluste rang sie Marius in Italien, der göttliche Cäsar in Gallien, Drusus und
Nero und Germanicus in ihrem eigenen Lande nieder; bald danach nahmen die
ungeheueren Drohungen des Kaisers Gaius ein lächerliches Ende. Seitdem war Ruhe,
bis die Germanen, unsere Zwietracht und den Bürgerkrieg ausnutzend, die
Winterlager der Legionen erstürmen und selbst Gallien zu gewinnen suchten. Und
nachdem sie von dort wieder vertrieben waren, hat man in jüngster Zeit Siege
über sie mehr gefeiert als wirklich errungen.
Aus
Tacitus Germania / Fuhrmann Manfred / Reclam
Annalen I
(14 nach Chr.)
1.
Aber wahrhaftig, Germanicus, den Sohn
des Drusus, machte er zum Befehlshaber über die acht Legionen, die am Rhein
standen, und befahl Tiberius, ihn zu adoptieren, obgleich in der Familie des
Tiberius ein jugendlicher Sohn war. Doch Augustus wollte über eine vermehrte
Zahl von Stützen verfügen. Der einzige Krieg, der in dieser Zeit noch andauerte,
war der gegen die Germanen; er sollte mehr die Schande des unter Quintilius
Varus verlorenen Heeres tilgen als den Wunsch nach Ausdehnung des Reiches oder
sonst einem den Einsatz lohnenden Preise dienen. Im Inneren war die Lage ruhig.
49.
Immer noch herrschte eine wilde Erregung in der Truppe. Da wandelte sie
plötzlich der Wunsch an, gegen den Feind zu ziehen, um ihre Raserei zu sühnen.
Anders könnten sie die Geister der Kameraden nicht versöhnen, als wenn sie auf
ihre frevelbeladene Brust ehrende Wunden empfingen. Der Caesar (Germanicus)
entsprach ihrem ungestümen Drängen und setzte auf einer Schiffbrücke
zwölftausend Legionssoldaten, Sechsundzwanzig Kohorten der Bundesgenossen und
acht Reiterschwadronen über, die sich bei dieser Meuterei nicht gegen den
Gehorsam vergangen hatte. Eine frohe Stimmung herrschte bei den Germanen, die
nicht fern waren, während wir wegen des Todes von Augustus zuerst durch die
Staatstrauer, dann durch die Meutereien in Anspruch genommen waren. Doch der
Römer durchschritt in Eilmärschen den Caesischen Wald auf der von Tiberius
begonnene Bahn, schlug auf ihr ein Lager und sicherte sich vorn und im Rücken
durch einen Wall, seitlich durch Verhaue. Dann zog er durch dunkele Waldgebiete
und überlegte, ob er von zwei Wegen den kurzen und üblichen oder den
schwierigeren, unbegangenen und daher von den Feinden unbewachten einschlagen
solle. Man wählte den längeren Weg und betrieb alles Weitere mit großer Eile.
Denn Kundschafter hatten mitgeteilt, von den Germanen werde in dieser Nacht mit
den üblichen Gelagen und Spielen ein Fest gefeiert. Caecina erhielt den Befehl,
mit einsatzbereiten Kohorten vorauszumarschieren und den Weg durch den Wald von
Hindernissen frei zu machen. Die Legionen folgten in kurzen Abstand. Eine
sternhelle Nacht kam zustatten. Man kam zu den Gehöften der Marser und umstellte
sie mit Feldwachen, während ihre Bewohner noch an den Lagerstätten oder an den
Tischen umherlagen, ohne jede Furcht und ohne Posten ausgestellt zu haben. In
solcher Sorglosigkeit lagen sie überall zerstreut umher; sie fürchteten durchaus
keinen Krieg, und auch der Friede, dem sie sich träge und schlaff hingaben, war
nichts anderes als die Folge ihrer Betrunkenheit. Der Caesar teilte die
kampfbegierigen Legionen, um ein desto größeres Gebiet zu verwüsten in vier
Kampfgruppen. Eine Strecke von fünfzig Meilen verheerte er mit Feuer und Schwert.
Nicht Geschlecht, nicht Alter fand Mitleid. Privathäuser und Heiligtümer, auch
der bei jenen Völkerschaften berühmte heilige Bezirk, den sie Tamfana nennen,
wurden dem Erdboden gleichgemacht. Bei der Truppe gab es keine Verluste, da sie
Halbschlafende und Waffenlose oder einzeln Umherstehende erschlagen hatten.
Dieses Morden rief die Brukterer, Tubanten und Usipeter auf den Plan.
Sie
besetzten die Waldgebiete, durch die das Heer zurückmarschieren musste. Der
Feldherr erfuhr dies und marschierte mit seiner Truppe in einer Formation, aus
der sie jederzeit den Kampf aufzunehmen vermochte. Ein Teil der Reiterei und die
Kohorten der Hilfstruppen bildeten die Spitze, dann kam die erste Legion, der
Tross wurde in die Mitte genommen, während die linke Flanke von der
einundzwanzigsten und die rechte von der fünften gedeckt wurde. Im Rücken
sicherte die zwanzigste Legion, und hinter ihr kamen die übrigen Bundesgenossen.
Aber die Feinde rührten sich nicht, solange die Kolonne in ihrer ganzen Länge
zog. Dann griffen sie mit schwachen Kräften von den Seiten und von vorn an und
warfen sich mit ganzer Macht auf die Nachhut. Und schon gerieten die leichten
Kohorten durch den Angriff der dichten Haufen der Germanen in Unordnung, als der
Caesar zu der zwanzigsten Legion herantritt und mit lauter Stimme rief:“ Jetzt
ist die Zeit gekommen, die Meuterei vergessen zu machen. Marschiert weiter,
verwandelt die Schuld in Ehre!“ In aufflammenden Mute durchbrachen sie in einem
einzigen Ansturm den Feind, warfen ihn ins freie Gelände und machten ihn nieder.
Zugleich gelangten die Truppen der Vorhut aus dem Walde heraus und schlugen ein
befestigtes Lager. Von da an blieb der Marsch unbehelligt. Vertrauend auf die
frischen Erfolge sowie die vergangenen Geschehnisse vergessend, wurde die Truppe
in die Winterquartiere verlegt.
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(15 nach
Chr.)
56.
So übergab denn Germanicus dem Caecina vier Legionen und fünftausend Mann
Hilfstruppen sowie ein in Eile ausgehobenes Aufgebot der diesseitigen Germanen.
Ebenso viele Legionen und die doppelte Zahl der Bundesgenossen führte er selbst
an. Er legte auf den noch sichtbaren Resten des Stützpunktes seines Vaters auf
dem Taunusgebirge ein Kastell an und eilte ohne Troß in das Gebiet der Chatten,
wobei er L. Apronius zur Herstellung von Wegen und Flussübergängen zurückließ.
Denn- eine Seltenheit in jenem Himmelsstrich- infolge der Trockenheit und des
niedrigen Wasserstandes der Flüsse hatte er unbehindert in Eilmärschen vorrücken
können, aber für den Rückmarsch befürchtete man Regengüsse und Anschwellen der
Flüsse. Aber für die Chatten erschien er so überraschend, dass alles Volk, das
wegen des Alters und Geschlechtes nicht wehrfähig war sofort gefangen genommen
und erschlagen wurde. Die wehrfähige Mannschaft war über die Adrana (Eder)
geschwommen und versuchte die Römer an dem Weiterbau einer Brücke zu hindern.
Dann wurden sie durch den Einsatz von Schleudermaschinen und Pfeilschützen
vertrieben, und nachdem sie vergebens versucht hatten, Friedensverhandlungen
anzubahnen, ging eine Anzahl zu Germanicus über, während die übrigen ihre Dörfer
und Gehöfte verließen und sich in die Wälder zerstreuten. Der Caesar steckte
Mattium den Vorort ihres Volksstammes, in Brand, verwüstete das flache Land und
wandte sich zum Rhein, ohne dass es der Feind gewagt hätte, die abziehende
Truppe im Rücken anzugreifen, was doch sonst seine Art ist, wenn mehr List als
Furcht der Grund ihres Zurückweichens gewesen ist. Die Cherusker hatten die
Absicht gehabt den Chatten zu helfen. Aber Caecina schreckte sie dadurch, dass
er sie bald hier, bald dort angriff. Und die Marser, die den Mut gehabt hatten,
sich zum Kampf zu stellen, wies er durch ein erfolgreiches Gefecht in die
Schranken.
57.
Bald darauf kamen Gesandte von Segestes mit der Bitte, ihm gegen die
Gewalttätigkeit seiner Landsleute, von denen er belagert wurde, zu helfen.
Arminius hatte bei ihnen größeren Einfluss, weil er zum Kriege riet. Denn bei
den Barbaren richten sich das Vertrauen, dass man einem Mann entgegenbringt, und
sein Einfluss in bewegten Zeiten nach seinem Wagemut und seiner
Entschlossenheit. Den Gesandten hatte Segestes seinen Sohn, namens Segimundus,
beigegeben. Aber der junge Mann zögerte aus Schuldbewusstsein. Denn in dem
Jahre, als Germanien abfiel, hatte er, in Ara Ubiorum zum Priester gewählt,
seine Priesterbinden zerrissen und war zu den Meuterern geflüchtet. Doch die
Hoffnung auf die römische Milde veranlassten ihn, die Aufträge seines Vaters zu
überbringen. Er fand eine freundliche Aufnahme und wurde unter Bedeckung zum
gallischen Ufer geschickt. Germanicus hielt es für lohnend kehrtzumachen. Es kam
zu einen Kampf mit den Belagerern, und Segestes wurde mit zahlreichen Verwandten
und Klienten befreit. Darunter waren vornehme Frauen, auch die Gattin des
Arminius, die ja die Tochter des Segestes war und mit dem Herzen mehr auf der
Seite ihres Mannes als ihres Vaters stand. Sie ließ sich keinen Träne entlocken
und ließ kein demütiges Wort verlauten; die Hände unter dem Bauch ihres Kleides
gefaltet, schaute sie auf ihren schwangeren Leib. Es kamen auch Rüstungen aus
der Niederlage des Varus zum Vorschein, die den Männern, die sich jetzt ergaben,
meistenteils als Beutestücke gegeben worden waren; Zugleich erschien Segestes
selbst, der, eine riesige Erscheinung, im Bewusstsein seiner guten
Bundesgenossenschaft ganz ohne Furcht war.
58.
Er sprach etwa folgendermaßen: „Dies ist für
mich nicht der erste Tag, an dem ich meine unverbrüchliche Treue gegenüber dem
römischen Volk zeige. Seitdem ich von dem vergöttlichtem Augustus mit dem
Bürgerrecht beschenkt worden bin, bestimmte euer Nutzen, wen ich als Freund und
wen ich als Feind auserlas, und zwar nicht aus Hass gegen mein Vaterland- die
Verräter sind ja auch denen, auf deren Seite sie sich stellen verhasst-, sondern
weil ich der Überzeugung war, dass der Vorteil der Römer auch der der Germanen
ist, und weil ich den Frieden besser als den Krieg hielt. Deshalb habe ich den
Räuber meiner Tochter, der den Vertrag mit euch gebrochen hat, bei Varus, dem
damaligen Befehlshaber des Heeres, angeklagt. Hingehalten durch die
Saumseligkeit des Heerführers, habe ich, weil die Gesetze keinen richtigen
Rückhalt boten, dringend gefordert, mich, Arminius und die in das Komplott
Eingeweihten in Fesseln zu legen. Zeuge ist jene Nacht. Wäre sie doch lieber die
letzte gewesen! Was dann folgte, kann man zwar beweinen aber nicht
rechtfertigen. Jedoch habe ich Arminius in Ketten gelegt und habe solche
meinerseits von seiner Partei erdulden müssen. Doch bei der ersten Gelegenheit,
mit dir in Verbindung zu treten, gebe ich das Neue gegen das Alte hin, den Geist
des Aufruhrs gegen den des Friedens, aber nicht in Erwartung einer Belohnung,
sondern um mich der Rolle des Treulosen zu entledigen und dafür die des
geeigneten Vermittlers für das germanische Volk zu übernehmen, falls es die Reue
dem Verderben vorziehen sollte. Für die Jugendbedingte Verwirrung meines Sohnes
bitte ich um Nachsicht. Dass meine Tochter mit Gewalt hierher gebracht worden
ist, gestehe ich. Deine Sache wird es sein, zu beurteilen, was größeres Gewicht
hat, dass sie ein Kind von Arminius bekommt oder dass sie meine leibliche
Tochter ist.“ Der Caesar gab einen entgegenkommenden Bescheid, in dem er seinen
Kindern und Verwandten versprach, es werde ihnen nichts geschehen, und ihm
selbst einen Wohnsitz in der alten Provinz zusicherte. Sein Heer führte er
zurück und nahm auf Anweisung des Tiberius den Titel Imperator an. Die Gattin
des Arminius gebar einen Spross männlichen Geschlechts. Der Knabe wuchs in
Ravenna auf. Von dem Spiel, dass das Schicksal später mit ihm getrieben hat,
werde ich zu gegebener Zeit berichten.
59.
Die Kunde von der Unterwerfung des Segestes und von seiner freundlichen Aufnahme
wurde, je nach dem die Stimmung für oder gegen den Krieg war, mit Hoffnung oder
mit Bedauern aufgenommen. Abgesehen von seiner angeborenen Leidenschaftlichkeit,
trieb Arminius der Gedanke an den Raub seiner Gattin, an ihre Schwangerschaft,
während der sie in der Sklaverei schmachtete, wie im Wahnsinn um. Er jagte in
dem Cheruskerland umher und forderte Waffen gegen Segestes, Waffen gegen den
Caesar. Auch mit Beschimpfungen sparte er nicht. Das sei ein hervorragender
Vater, ein großer Imperator, ein tapferes Heer, das mit so vielen Händen ein
einziges schwaches Weib fortgeschleppt habe. Vor ihm seien drei Legionen und
ebenso viele Legaten auf die Knie gesunken. Nicht mit Verrat , nicht gegen
schwangere Frauen führe er Krieg, sondern offen gegen einen bewaffneten Feind.
Immer noch sehe man in den Hainen der Germanen die römischen Feldzeichen, die er
als Weihgabe an die heimischen Götter aufgehängt habe. Möge Segestes das
unterworfene Ufergebiet bewohnen, seinem Sohn wieder das Priesteramt
verschaffen: die Germanen werden nie sich damit abfinden, dass sie zwischen Elbe
und Rhein Rutenbündel, Beile und die Toga gesehen haben. Andere Völkerschaften,
die keine Bekanntschaft mit dem römischen Reich gemacht haben, wissen nichts
von Blutgerichten und kennen keine Steuern. Diese Lasten hätten sie ja
abgeschüttelt, und jener unter die Götter versetzte Augustus, jener als sein
Nachfolger auserlesene Tiberius seien unverrichteter Dinge abgezogen. Darum
sollten sie auch nicht jetzt vor einem unerfahrenen, ganz jungen Mann, vor
einem meuternden Heer in Angst geraten. Wenn ihnen Vaterland, Eltern, die alten
Verhältnisse höher stehen als Zwingherrn und neue Ansiedlung, sollten sie lieber
dem Arminius, dem Führer zu Ruhm und Freiheit, als dem Segestes, dem Führer zu
schändlicher Knechtschaft folgen.
60.
Dadurch wurden nicht nur die Cherusker, sondern auch die angrenzenden
Völkerschaften aufgewiegelt und Inguiomerus, der Oheim des Arminius, der bei den
Römern seit langem in Ansehen stand, zum Anschluss bewogen. So wuchs die
Besorgnis des Caesar. Und damit nicht die ganze Wucht des Krieges auf einmal
hereinbreche, schickte er Caecina mit vierzig römischen Kohorten, um den Feind
zu zersplittern, durch das Gebiet der Brukterer an den Fluss Amisa (Ems), während
die Reiterei der Befehlshaber Pedo durch das Gebiet der Friesen führte. Er
selbst fuhr mit vier Legionen, die er auf Schiffe verladen hatte, über die Seen.
Fußvolk Reiterei und Flotte trafen gleichzeitig an dem vorbestimmten Fluss ein.
Da die Chauken Hilfstruppen zu stellen versprachen, wurden sie in die
Heergemeinschaft aufgenommen. Die Brukterer, die selbst ihr Hab und Gut
verbrannten, schlug L. Stertinius, den Germanicus mit einer leichten
Heeresabteilung abgesandt hatte. Während des Mordens und Plünderns fand er den
Adler der neunzehnten Legion, der unter Varus verloren gegangen war. Dann führte
er das Heer weiter bis zu den äußersten Grenzen der Brukterer, und das ganze
Gebiet zwischen den Flüssen Amisa und Lupia, nicht weit von dem Teutoburger
Wald, in dem, wie es hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen
unbegraben lagen, wurde verwüstet.
61.
Nun erwachte in dem Caesar das verlangen, jenen Soldaten und ihrem Heerführer
die letzte Ehre zu erweisen, wobei das ganze anwesende Heer von schmerzlichen
Mitgefühl erfüllt war wegen der leidvollen Kriege und des menschlichen Loses.
Caecina wurde vorausgeschickt, um die entlegenen Waldgebiete zu durchforschen
und über das sumpfige Gelände und den Trügerischen Moorboden Brücken und Dämme
zu führen. Und nun betraten sie die Unglücksstätte, grässlich anzusehen und voll
schrecklicher Erinnerungen. Das erste Lager des Varus wies an seinem weiten
Umfang und der Absteckung des Hauptplatzes auf die Arbeit von drei Legionen hin.
Dann erkannte man an dem halb eingestürzten Wall und dem niedrigen Graben, dass
die schon zusammengeschmolzenen Reste sich dort gelagert hatten. Mitten im
freien Feld lagen die Gebeine zerstreut oder in Haufen, je nachdem die Leute
geflohen waren oder widerstand geleistet hatten. Dabei lagen Bruchstücke von
Waffen und Pferdegerippe, zugleich fanden sich an Baumstämme angenagelte Köpfe.
In den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die
Tribunen und die Centurionen der ersten Rangstufe geschlachtet hatten. Die
Leute, die diese Niederlage überlebt hatten und der Schlacht oder der
Gefangenschaft entronnen waren, erzählten, hier seien die Legaten gefallen, dort
die Adler von den Feinden erbeutet worden; sie zeigten, wo Varus die erste Wunde
erhalten, wo er mit seiner unseligen Rechten sich selbst den Todesstoss
beigebracht habe; wo Arminius von der Tribüne herunter eine Ansprache gehalten
habe, wie viele Galgen für die Gefangenen, was für Martergruben er habe
herstellen lassen, wie er die Feldzeichen und Adler übermütig verhöhnt habe.
62.
Und nun setzte das hier befindliche römische Heer, sechs Jahre nach der
Niederlage, die Gebeine von drei Legionen bei, in trauriger Stimmung und
zugleich in wachsenden Zorn auf den Feind, ohne das jemand erkannte, ob er die
Überreste von Fremden oder von seinen eigenen Angehörigen in der Erde barg. Und
es war, als ob sie alle zusammengehörten, als ob sie Blutsverwandte seien. Das
erste Rasenstück zur Aufschichtung des Hügels legte der Caesar als
willkommensten Liebesdienst für die Toten und als Zeichen seiner Anteilnahme an
den Schmerz der Anwesenden. Dies fand jedoch nicht die Billigung des Tiberius,
mag er nun alle Handlungen des Germanicus übel ausgelegt haben oder glaubte er,
das Heer sei durch den Anblick der Erschlagenen und Unbegrabenen in seinem
Kampfesmut geschwächt worden und fürchte sich nunmehr vor den Feinden. Der
Oberfeldherr, der das Amt des Augurn versehe und uralte religiöse Handlungen zu
verrichten habe, hätte nicht an einer Leichenbestattung teilnehmen dürfen.
63.
Aber Germanicus folgte dem Arminius, der sich in unwegsame Gegenden zurückzog,
und befahl der Reiterei, sobald sich Gelegenheit dazu bot, vorzustürmen und dem
Feind ein freies Feld, dass er besetzt hatte, zu entreißen. Arminius forderte
seine Leute auf, sich zusammenzuscharen und an das Waldgelände heranzurücken.
Dann machte er plötzlich kehrt und gab den Abteilungen, die er überall im
Waldgebiet versteckt hatte, das Zeichen zum Hervorbrechen. Jetzt wurde durch die
neue Kampffront unsere Reiterei in Verwirrung gebracht, und die herbei
geschickten Reservekohorten, auf die der Strom der Fliehenden prallte,
vermehrten noch die Bestürzung. Sie wären in das Sumpfgelände, in dem sich die
Siegenden auskannten, während es für die Unkundigen gefährlich war, gedrängt
worden, hätte nicht der Caesar die Legionen vorgeführt und zum Kampf
aufgestellt. Dies erschreckte den Feind und ermutigte die eigene Truppe. Doch
ohne dass es zu einer Entscheidung kam, trennte man sich.
Dann führte er das
Heer an die Amisa zurück und brachte die Legionen zu Schiff wie er sie
hergeführt hatte, wieder zurück. Einem Teil der Reiterei befahl er, entlang der
Küste zum Rhein zu marschieren. Caecina, der einen eigene Heeresabteilung
führte, erhielt die Weisung, obgleich die Wege, auf denen er den Rückmarsch
antreten wollte, bekannt waren, so rasch wie möglich die „Langen Brücken“ hinter
sich zu bringen, dies ist ein schmaler Fußpfad durch ausgedehntes Sumpfgelände,
der einst von L. Domitius als Damm aufgeführt worden war. Das übrige Gelände ist
morastig, man bleibt dort im schweren Lehmboden hängen, oder Bachläufe machen es
nur schwer begehbar. Ringsum stieg das Waldgelände langsam an, das Arminius
jetzt besetzte, nachdem er in Eilmärschen auf abgekürzten Wegen dem mit seinem
Gepäck und mit Waffen belasteten römischen Heer zuvorgekommen war. Caecina der
unschlüssig war, wie er die im Laufe der Zeit zusammengebrochenen Bohlenwege
wiederherstellen und zugleich den Feind abwehren solle, beschloss an Ort und
Stelle ein Lager abzustecken, damit der eine Teil mit der Befestigungsanlage
beginnen, der andere den Kampf aufnehmen könne.
64.
Die Barbaren versuchten die Postenkette zu durchbrechen und sich auf die
Arbeitskommandos zu stürzen; sie forderten sie heraus, umzingelten sie und
stürmten auf sie los. Durcheinander ertönte das Geschrei der Arbeitskommandos
und der kämpfenden Truppe. Und überall stellten sich die gleichen
Schwierigkeiten den Römern in den Weg: Das grundlose Sumpfgelände, auf dem man
nicht fest auftreten konnte und beim Vorwärtsgehen ausglitt, das Gewicht der
Panzer, das auf dem Körper lastete, die Unmöglichkeit, im Wasser stehend die
Wurfspeere zu schwingen. Dagegen waren die Cherusker an den Kampf im
Sumpfgelände gewöhnt, waren hochgewachsen, führten gewaltige Lanzen, mit denen
sie auch auf größere Entfernung ihre Gegner verwunden konnten. Erst die Nacht
enthob die schon weichenden Legionen dem unter ungünstigen Bedingungen geführten
Kampfe. Die Germanen kannten angesichts ihrer Erfolge keine Müdigkeit. Sie
gönnten sich auch jetzt keine Ruhe und leiteten alle Wasserläufe, die von den
Anhöhen ringsum herunter kamen, in das tieferliegende Gelände ab. Dieses wurde
überschwemmt und die schon fertig gestellten Befestigungsabschnitte verschüttet,
wodurch die Mannschaften doppelte Arbeit zu leisten hatten. Es war das
vierzigste Dienstjahr, in dem Caecina als Untergebener oder Vorgesetzter stand.
Er hatte Erfahrung im Glück und im Unglück gesammelt und ließ sich daher nicht
in Schrecken versetzen. Und so fand er bei der Erwägung, welche Maßnahmen zu
treffen seien, keinen anderen Ausweg, als den Feind aus dem Walde solange nicht
heraus zu lassen, bis die Verwundeten und der ganze schwere Tross einen
Vorsprung gewonnen hätten. Denn in der Mitte zwischen den Bergen und den Sümpfen
zog sich eine Ebene hin, die eine Aufstellung in schmaler Front ermöglichte. Von
den Legionen wählte er die fünfte für die rechte, die einundzwanzigste für die
linke Flanke, die erste für die Spitze der Marschkolonne, die zwanzigste als
rückwärtige Deckung gegen etwaige Verfolgung aus.
65.
In der Nacht kam es aus verschiedenen Ursachen zu keiner Ruhe: die Talmulden und
die widerhallenden Bergwälder waren erfüllt von dem fröhlichen Gesang oder dem
wilden Lärmen der Barbaren, die festliche Gelage feierten; bei den Römern
glimmten nur schwache Lagerfeuer, hörte man nur abgebrochene Laute, während sie
selbst an dem Wall herumlagen, in den Zelten umherirrten, mehr weil sie nicht
Schlafen konnten, als weil sie wachen wollten. Den Heerführer erschreckte ein
grässliches nächtliches Traumbild: er glaubte den blutbespritzten Quintilius
Varus aus dem Sumpfgelände emportauchen zu sehen und ihn gleichsam rufen zu
hören, ohne ihm jedoch Folge zu leisten; vielmehr stieß er die ausgestreckte
Hand zurück. Bei Tagesanbruch verließen die zum Flankenschutz abgesandten
Legionen aus Furcht oder Widersetzlichkeit ihre Stellung und besetzten eilig das
freie Feld jenseits des Sumpfgeländes. Aber Arminius brach nicht sofort hervor,
obgleich seinem Angriff nichts entgegengestanden hätte. Als aber der Tross im
Schlamm und in den Gräben stecken blieb, überall bei den Soldaten Verwirrung um
sich griff, die einzelnen Abteilungen nicht mehr geschlossen blieben und, wie es
in einer solchen Lage zu gehen pflegt, jeder nur darauf bedacht war, rasch
davonzukommen, und sich taub gegen Befehle stellte, da gab Arminius den Germanen
den Befehl zum Angriff mit dem Ruf: „Seht da! Varus und die wiederum dem
gleichen Schicksal verfallenen Legionen!“ Mit diesen Worten durchbrach er mit
einer auserlesenen Truppe die Marschkolonne, wobei er hauptsächlich den Pferden
Wunden beibrachte. Diese glitten in ihrem eigenen Blute und auf dem schlüpfrigen
Sumpfboden aus, warfen die Reiter ab, trieben die Leute vor ihnen auseinander
und zerstampften die am Boden liegenden. Der Kampf tobte hauptsächlich um die
Adler, die weder gegen den Geschosshagel vorwärts getragen noch in dem
schlammigen Boden festgemacht werden konnten. Während Caecina versuchte, den
Kampf zum stehen zu bringen, wurde sein Pferd unter ihm durchstochen. Er stürzte
herab und währe umzingelt worden, wenn nicht die erste Legion sich dem Feind entgegen geworfen hätte. Dabei kam die Habgier der Feinde zustatten, die von dem
Morden abließen und sich auf das Beutemachen verlegten. So konnten sich die
Legionen, als es Abend wurde, in offenes Gelände und auf festen Boden
herausarbeiten. Doch damit war die Not noch nicht zu Ende: es musste ein Wall
errichtet und Dammerde herbeigeschafft werden. Die Geräte für das Ausheben der
Erde oder Ausstechen des Rasens waren größtenteils verloren gegangen, die Manipel
hatten keine Zelte, für die Verwundeten gab es keine Verbandstoffe, die
Nahrungsmittel, die man verteilte, waren durch Schmutz oder Blut verunreinigt,
und die Soldaten jammerten über die Grabesnacht und dass so viele tausend
Menschen nur noch einen einzigen Tag zu leben hätten.
66.
Zufällig riss sich ein Pferd von seinen Fesseln los, rannte, durch das
Geschrei scheu geworden, umher und warf einige Leute um, die ihm in den Weg
kamen. Man glaubte an einen Überfall der Germanen, und so kam es zu einer
solchen Panik, dass alle zu den Toren stürzte, und zwar hauptsächlich zu dem
rückwärts gelegenen Tor, das, vom Feinde abgelegen, den Fliehenden größere
Sicherheit bot. Als Caecina feststellte, dass kein Grund zur Angst vorliege, er
selbst jedoch weder durch sein Ansehen noch durch Bitten, ja nicht einmal durch
tätliches Eingreifen dagegen etwas ausrichten oder die Mannschaften zurückhalten
konnte, warf er sich auf die Schwelle des Tores. Erst in dem er Mitleid
erweckte, sperrte er den Weg, da man über den Körper des Legaten hätte gehen
müssen. Zugleich klärten die Tribunen und Centurionen die Leute darüber auf,
dass es blinder Alarm sei.
67.
Dann ließ er alle auf dem Hauptplatz antreten, forderte sie auf, seine Worte
still anzuhören, und legte ihnen dar, was in der augenblicklichen Lage unbedingt
erforderlich sei. Allein von den Waffen hätten sie Rettung zu erhoffen, jedoch
müssten sie diese mit vorsichtiger Überlegung gebrauchen. Man solle innerhalb
des Walles bleiben, bis die Feinde in der Hoffnung, ihn zu erstürmen, näher
heranrückten. Dann müsse man von allen Seiten einen Ausfall machen, wodurch man
sich bis zum Rhein durchschlagen könne. Wenn sie fliehen, harren ihrer noch mehr
Wälder, noch grundlosere Sümpfe und die Grausamkeit der Feinde. Aber wenn sie
Siegen, werden ihnen Ehre und Ruhm zuteil. Auch auf ihre Lieben in der Heimat
und auf ihre Soldatenehre wies er sie hin. Von der schwierigen Lage schwieg er.
Dann übergab er die Pferde, zuerst seine eigenen, dann die der Legaten und
Tribunen ohne Ansehen der Person den tapfersten Kämpfern, damit diese zuerst
zu Pferd und nach ihnen die Mannschaften zu Fuß auf den Feind losstürmen.
68.
Nicht geringe Unruhe herrschte bei den Germanen. Zuversicht und Kampflust
erfüllten sie, während ihre Führer uneins waren. Arminius riet, die Feinde
abziehen zu lassen und sie dann wieder in dem sumpfigen, unwegsamen Gelände zu
umzingeln, während Inguiomerus für ein energischeres Vorgehen, dass bei den
Barbaren freudigen Anklang fand, eintrat und den Wall umzingeln und erstürmen
wollte. Dies werde keine Mühe machen. Die Zahl der Gefangenen werde größer und
die Beute unbeschädigt sein. Deshalb schütteten sie bei Tagesanbruch die Gräben
zu, warfen Flechtwerk hinein und kletterten auf die Wallhöhe, auf der sich nur
vereinzelte Leute zeigten, die vor Angst wie gelähmt waren. Als sie nun an den
Befestigungen hingen, wurde den Kohorten unter dem Schmettern der Hörner und
Trompeten das Zeichen zum Angriff gegeben. Mit Geschrei stürmten sie los und
fassten die Germanen im Rücken, ihnen höhnisch zurufend: „Hier gibt es nicht
Wälder noch Sümpfe; beiden Parteien bietet das Gelände, bieten die Götter die
gleichen Möglichkeiten, sich zu bewähren!“ Der Feind, der dachte, die
Vernichtung der Römer würde keine Mühe machen, auch handele es sich nur um
wenige unbewaffnete Leute, wurde von dem Schmettern der Trompeten, dem Blitzen
der Waffen, je weniger sie darauf gefasst waren, um so stärker betroffen. Und
wie sie in günstiger Lage kampfbegierig losstürmten, so fielen sie jetzt in
ungünstiger ohne alle Vorsicht. Arminius verließ unversehrt, Inguiomerus schwer
verwundet das Kampffeld. Das Blutbad unter den Mannschaften hielt an, bis die
Wut gestillt und der Tag zu Ende war. Erst bei Nacht kehrten die Legionen
zurück. Zwar hatten sie noch mehr Verwundete als zuvor und litten unter dem
gleichen Mangel an Lebensmitteln, doch der errungene Sieg ersetzte ihnen alles:
Kraft, Gesundheit, Vorräte.
69.
Inzwischen hatte sich das Gerücht verbreitet, das Heer sei aufgerieben und die
Germanen ziehen zum Angriff auf Gallien heran. Und hätte nicht Agrippina den
Abbruch der Rheinbrücke verhindert, hätten sich Leute gefunden, die zu diesem
frevelhaften Tun aus Angst bereit waren. Aber die willensstarke Frau übernahm in
diesen Tagen die Aufgaben des Heerführers und verteilte an alle bedürftigen
Soldaten Kleidungsstücke und Verbandmittel. C. Pilinus, der Geschichtsschreiber
der Germanenkriege überliefert, sie habe vorn an der Brücke gestanden und Lob
und Dank den zurückkehrenden Legionen gesagt. Dies versetzte Tiberius in tiefe
Unruhe. Solche Formen der Fürsorge seien nicht harmlos, und es seien nicht die
auswärtigen Feinde, gegen die sich die Bemühungen um die Sympathie der Soldaten
richten. Nichts mehr haben die Oberbefehlshaber zu tun und zu sagen, wenn eine
Frau die Manipel musterte, sich zu den Feldzeichen stellte, es mit Schenkungen
versuche, als ob es nicht genug des Buhlens um Gunst wäre, wenn sie den Sohn des
Heerführers in Soldatentracht umhertrage und ihn Caesar Caligula genannt wissen
wolle. Schon gelte Agrippina mehr bei den Heeren mehr als die Legaten, als die
Heerführer. Eine Frau habe eine Meuterei erstickt, der der Name des Princeps
nicht habe Einhalt gebieten können. Seianus schürte das Feuer und verschärfte
die Lage. Er kannte den Charakter des Tiberius und säte den Hass, auf lange Zeit
berechnet, aus. Tiberius sollte den Hass in seinem Herzen bewahren, um ihn dann
vervielfacht hervorbrechen zu lassen.
70.
Aber Germanicus übergab von den Legionen, die er zu Schiff herbeigeführt hatte,
die zweite und die vierzehnte dem P. Vitellius mit dem Befehl, sie auf dem
Landweg weiterzuführen, damit die Flotte mit geringerer Belastung auf dem
seichten Meere weiterfahre oder auch bei Ebbe nicht so sehr festsitze. Zuerst
marschierte Vitellius ungestört auf trockenem Boden oder nur bei niederem
Wasserstand zur Flutzeit. Dann wurde mit dem Aufkommen eines starken Nordwindes-
es war die Zeit der Tagundnachtgleiche, wo der Ozean stark anschwillt- die
Marschkolonne mit fortgerissen. Das Land wurde überflutet. Meer, Strand und
Niederungen boten das gleiche Bild; unsicheren und festen Boden, seichte und
tiefe Stellen konnte man nicht mehr unterscheiden. Die Leute wurden von den
Fluten umgeworfen, von den Strudeln verschlungen: Zugtiere; Gepäck, Leichen
schwammen umher, trieben ihnen entgegen. Die Manipel kamen durcheinander, da sie
bald bis zur Brust, bald bis zum Mund im Wasser standen, bisweilen auch den
Boden unter den Füßen verloren, und auseinander gerieten oder untergingen. Kein
Zuruf, kein gegenseitiger Zuspruch half gegen die anstürmende Wasserflut. Es
machte keinen Unterschied, ob einer mutig oder feig, besonnen oder unbesonnen
war, ob er überlegte oder sich dem Zufall überließ, alles wurde mit gleicher
Gewalt fortgerissen. Endlich arbeitete sich Vitellius auf ein höher gelegnes
Gelände hinauf, auf das er die Kolonne führte. Dort übernachteten sie ohne
Lebensmittel, ohne Feuer, zum großen Teil ohne Kleidung oder mit zerschundenem
Körper, in einem nicht minder bejammerwerten Zustand, als wenn sie vom Feind
eingeschlossen wären. Denn in diesem Fall besteht wenigstens die Möglichkeit,
ehrenvoll zu sterben, während hie nur ein unrühmlicher Untergang bevorstand. Bei
Tagesanbruch sah man wieder die Erde, und der Marsch ging weite bis zur Visurgis
(die Elbe), wohin Germanicus mit der Flotte gefahren war. Dann wurden die
Legionen eingeschifft, während sich das Gerücht verbreitete, sie seien
ertrunken. Und nicht eher glaubte man an die Rettung, als man den Caesar mit
seiner Flotte zurückgekehrt sah.
71.
Schon hatte Stertinius, der vorrausgeschickt worden war, um die Unterwerfung des
Segimerus, des Bruders des Segestes, entgegenzunehmen, diesen selbst und seinen
Sohn in die Stadt der Ubier verbracht. Beiden wurde Verzeihung gewährt, ohne
weiteres Segimerus, zögernder seinem Sohn, weil es hieß, er habe den Leichnam
des Quintilius Varus verhöhnt. Übrigens boten Gallien, Spanien, Italien, um die
Verluste des Heeres zu ergänzen, um die Wette das Kriegsmaterial an, über das
jedes Land verfügte: Waffen, Pferde, Gold. Germanicus lobte ihren Eifer, nahm
jedoch nur Waffen und Pferde für die Kriegsführung an und half den Soldaten mit
seinem eigenen Gelde. Um die Erinnerung an das Unglück auch durch Leutseligkeit
zu mildern, besuchte er die Verwundeten, rühmte die Taten jedes einzelnen, sah
sich die Wunden an und stärkte bei den einen die Aussicht auf Beförderung, bei
den anderen durch die Erwähnung ihres rühmlichen Verhaltens, bei allen
miteinander durch seinen Zuspruch und seine Fürsorge das Vertrauen zu seiner
Person und den Mut für den weiteren Kampf.
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Annalen II
(16 nach. Chr.:)
5.
Übrigens kam es dem Tiberius nicht ungelegen, dass im Orient Unruhen ausbrachen.
Er wollte unter diesem Vorwand Germanicus von seinen vertrauten Legionen
entfernen und ihn über neue Provinzen setzen, um ihn so der
Hinterlist und zugleich gefährlichen Zufällen auszusetzen. Doch je lebhafter
sich ihm die Sympathien der Soldaten zuwandten und je stärker die Abneigung
seines Oheims gegen ihn wuchs, um so mehr war er darauf bedacht, den Sieg zu
beschleunigen. Und so beschäftigte er sich mit Plänen für kommende
Schlachten und mit all den schrecklichen oder auch glücklichen Ereignissen
während der verflossenen zwei Kriegsjahre: Die Germanen werden in der offenen
Feldschlacht und auf normalen Gelände besiegt, aber es kommen ihnen zustatten
Wälder und Sümpfe, ein kurzer Sommer und ein frühzeitiger Winter. Seine eigenen
Mannschaften leiden nicht so sehr durch Verwundungen als durch weite Märsche und
die Einbuße von Waffen. Gallien sei
erschöpft durch die Lieferung von Pferden. Die lange Trosskolonne verlocke zu
Überfällen und könne nur schwer verteidigt werden. Wenn er jedoch auf das Meer
gehe, habe er auf diesem Gebiet freie Bahn, während sich die Feinde dort nicht
auskennen. Zugleich könne man den Krieg früher beginnen und die Legionen
gleichzeitig mit dem Nachschub befördern. Ungeschwächt werde die Reiterei mit
ihren Pferden nach dem Transport von den Flussmündungen aus auf dem Wasserweg
mitten nach Germanien gelangen.
6.
Diese Erwägungen bestimmten ihn nun zu folgenden Maßnahmen. P.Vitellius und
C.Antius wurden abgeschickt, um die Steuererhebung in Gallien durchzuführen.
Indessen erhielten Silius, Anteius und Caecina den Auftrag, eine Flotte zu
bauen. Tausend schleunigst gebaute Schiffe schienen ausreichend zu sein. Ein
Teil war kurz mit schmalen Vorder- und Hinterdeck und weitem Bauch, um leichter
der Flut standzuhalten. Manche hatten platte Kiele. Um ohne Beschädigung auf
Grund laufen zu können; ein größere Anzahl war mit Steuerrudern vorne und hinten
ausgerüstet, um die Ruder plötzlich zu wenden und mit der einen oder anderen
Seite landen zu können. Viele hatten Brückenüberbauten, auf denen man Geschütze
bewegen konnte. Sie waren zugleich für den Transport von Pferden und
Kriegsbedarf geeignet. Mit leicht zu handhabenden Segelwerk und mit
schnellbeweglichen Rudern ausgerüstet, wuchsen sie dank dem freudigen Einsatz
der Soldaten heran und boten einen furchterregenden Anblick. Die Insel der
Bataver war als Sammelpunkt bestimmt wegen ihrer guten Landemöglichkeiten und
weil sie sich zur Aufnahme von Vorräten und zur Verlegung des Kriegschauplatzes
eignete. Denn der Rhein, der bis dorthin in einem einheitlichen Strombett fließt
oder sich um kleine Inseln herumwindet, teilt sich bei seinem Eintritt in
das Bataverland gleichsam in zwei Flüsse, aber behält auf der Germanischen Seite
seinen Namen wie auch seine Strömung bei, bis er sich mit dem Ozean vereinigt.
An dem gallischen Ufer fließt er breiter und ruhiger (mit geänderten Namen
nennen ihn die Bewohner Vahlis), dann vertauscht er auch diesen Namen mit dem
Flusse Mosa, und mit ihm zusammen mündet er in gewaltiger Breite in den Ozean.
7.
Aber während die Schiffe herangeführt wurden, befahl Germanicus dem Legaten
Silius, mit einer leicht beweglichen Truppe in das Land der Chatten einzufallen.
Er selbst führte auf die Nachricht, das an dem Flusse Lupia angelegte Kastell
werde belagert, sechs Legionen dorthin. Doch konnte Silius wegen plötzlicher
Regenfälle nichts weiter ausrichten. Er konnte nur unbedeutende Beute und die
Gattin des Chattenfürsten Arpus mit ihrer Tochter entführen. Und auch dem Caesar
gaben die Belagerer keine Gelegenheit zu einem Kampfe. Sie verschwanden bei der
Kunde von seinem Erscheinen. Jedoch hatten sie den erst kürzlich für die
Legionen des Varus errichteten Grabhügel und einen früher für Drusus gebauten
Altar zerstört. Diesen stellte der Princeps wieder her und veranstaltete selbst
an der Spitze der Legionen einen Vorbeimarsch. Den Hügel zu erneuern hielt er
nicht für angebracht. Das ganze Gebiet zwischen dem Kastell Aliso und dem Rhein
wurde mit neuen Grenzwegen und Dämmen befestigt.
8.
Schon war die Flotte angekommen. Der Caesar hatte die Verpflegung vorausgesandt,
die Legionen und die Bundesgenossen auf die Schiffe verteilt und war in den nach
Drusus benannten Kanal eingelaufen, wobei er zu seinem Vater betete, er möge
ihm, da er jetzt das gleiche Wagnis auf sich nehme, huldreich und gnädig mit
seinem Vorbild und dem Gedenken an seine Maßnahmen und Bauten zur Seite stehen.
Von hier aus fuhr er durch die Seen und den Ozean bis zur Amisa in günstiger
Fahrt. Die Flotte blieb auf dem linken Flussbett der Amisa zurück. Dabei beging
er den Fehler, dass er sie nicht Flussaufwärts fahren ließ. Er brachte die
Truppe über den Fluss hinüber, da sie in die rechts gelegen Gebiete marschieren
sollte. So wurden mehrere Tage auf den Bau von Brücken verwendet. Die Reiterei
und die Legionen zogen zwar unerschrocken durch die ersten Niederungen, solange
die Flut noch nicht stieg, jedoch die Nachhut, die aus Hilfstruppen bestand,
einschließlich der dazugehörigen Bataver, kam, als sie in das Wasser sprangen
und ihre Schwimmkunst zeigten, in Unordnung, wobei auch einige ertranken.
Während der Cäsar ein Lager abstecken ließ, wurde in seinem Rücken der Aufstand
der Angrivarier gemeldet: er schickte Stertinius mit Reiterei und einer
leichtbewaffneten Truppe sofort dahin und bestrafte mit Feuer und Schwert die
Treulosigkeit.
9.
Der Strom Visurgis (Weser) floss zwischen den
Römern und Cheruskern. An ihrem Ufer stellte sich
Arminius mit den anderen Häuptlingen auf und fragte, ob
Germanicus gekommen sei. Als er die Antwort erhielt, er sei da, bat er um die
Erlaubnis, mit seinem Bruder zu sprechen. Dieser befand sich bei dem römischen
Heer, wo er den Beinamen Flavus führte, sich durch Treue auszeichnete und wenige
Jahre vorher unter der Heerführung des Tiberius durch eine Verwundung ein Auge
verloren hatte. Die Erlaubnis wurde erteilt; er trat vor und wurde von Arminius
begrüßt. Dieser schickte sein Gefolge weg und verlangte, dass die an unserem
Ufer aufgestellten Bogenschützen sich entfernen. Als dies geschehen war, fragte
er seinen Bruder, wovon sein entstelltes Gesicht herrühre. Als ihm dieser den
Ort und die Schlacht angab, fragte er weiter, was er denn für eine Belohnung
erhalten habe. Flavus wies auf eine Erhöhung des Soldes, auf eine Halskette, auf
einen Ehrenkranz sowie auf andere militärische Geschenke hin, die Arminius als
armseligen Sklavenlohn verspottete.
10.
Dann entspann sich ein Wortwechsel: der eine sprach von der Größe Roms, von der
Macht des Caesars und der schweren Bestrafung, die die Besiegten zu erwarten
hätten, während dem der sich unterwerfe, Milde zuteil werde. Weder seine Gattin
noch sein Sohn werden als Feind behandelt. Der andere sprach von der heiligen
Pflicht gegenüber dem Vaterland, von der von den Vätern ererbten Freiheit, von
den heimischen Göttern Germaniens, von der Mutter, die sich seinen Bitten
anschließe. Er solle nicht zum abtrünnigen Verräter an seinen ferneren und
näheren Verwandten, ja an seinem eigenen Volke, vielmehr dessen Heerführer
werden. Dann kam es allmählich zu einer richtigen Zankerei, und nicht einmal der
Fluss, der sie trennte, hätte sie daran gehindert, miteinander handgemein zu
werden, wenn nicht Stertinius herbeigeeilt wäre und Flavus, der wutentbrannt
Waffen und ein Pferd forderte, festgehalten hätte. Auf der Gegenseite sah man
Arminius, der unter Drohungen eine Schlacht ankündigte. Dabei gebrauchte er sehr
viele lateinische Ausdrücke. Er hatte ja im römischen Feldlager als Führer
seiner Landsleute gedient.
11.
Am folgenden Tage stand das Heer der Germanen jenseits des Visurgis in
Schlachtordnung. Der Caesar glaubte, einem Feldherrn stehe es nicht an, die
Legionen ohne Rückhalt von Brücken und ohne deren Sicherung einem entscheidenden
Kampf auszusetzen, und schickte daher seine Reiterei durch eine Furt über den
Fluss. Stertinius Aemilius, ein Primipilar, befehligten sie. Sie griffen an
getrennten Stellen an, um den Feind zur Trennung seiner Truppen zu veranlassen.
Wo die Strömung an reißendsten war, ging der Führer der Bataver, Chariovalda,
über den Fluss und stürmte vor. Ihn lockten die Cherusker, die zum Schein
flohen, in eine Ebene, die rings von Bergwald umgeben war. Dann brachen sie
hervor, stürmten von allen Seiten auf den Gegner ein, warfen ihn, wo er
Widerstand leistete, zurück, verfolgten die Weichenden und, wenn diese
kreisförmig sich zusammenschlossen, trieben sie teils im Nahkampf, teils im
Fernkampf vor sich her. Chariovalda, der lange Zeit dem wilden Ansturm
standgehalten hatte, ermahnte seine Leute, durch die anstürmenden Scharen mit
geballten Kräften durchzubrechen. Er selbst stürzte sich auf den Feind, wo
dieser am dichtesten stand, und sank unter einem Hagel von Geschossen von dem
durchbohrten Pferd; eine große Anzahl von Edelleuten fiel rings um ihn. Den Rest
rettete aus der gefährlichen Lage eigene Kraft oder die Hilfe der Reiterei, die
unter Stertinius und Aemilius herbeieilte.
12.
Der Caesar ging über den Visurgis und erfuhr durch die Aussage eines Überläufers
den von Arminius ausersehenen Kampfplatz. Auch andere Stämme hätten sich in dem
Herkules geweihten Wald versammelt und würden es wagen, bei Nacht zum Sturm auf
das Lager anzutreten. Man schenkte dieser Aussage Glauben, und wirklich
erblickte man Lagerfeuer. Kundschafter die sich näher heranschlichen, meldeten,
man höre das Wiehern von Pferden und das dumpfe Geräusch einer riesigen,
ungeordneten Marschkolonne. Weil eine entscheidende Schlacht bald zu erwarten
war, glaubte nun der Caesar, die Stimmung der Soldaten erforschen zu sollen, und
überlegte bei sich, wie er diese unverfälscht feststellen könne. Die Meldungen
der Tribunen und Centurionen seien öfters nur darauf berechnet, erfreulich zu
wirken, ohne den tatsächlichen Feststellungen zu entsprechen, die Freigelassenen
zeigen eine Knechtgesinnung, und den Freunden sei kriecherisches Benehmen eigen.
Wenn man eine Soldatenversammlung einberufe, würden auch dort einigen wenigen,
die den Ton angeben, alle übrigen lärmenden Beifall zollen. Man müsse ihre
Gedanken gründlich kennen lernen, und zwar, wenn sie unter sich und ohne
Aufsicht bei dem Soldatenessen offen ihren Hoffnungen oder Befürchtungen
Ausdruck geben.
13.
Bei Beginn der Nacht verließ er das Feldherrenzelt und ging heimlich, ohne das
die Wachen das bemerkten, mit einem einzigen Begleiter, einen Pelz um die
Schultern, zu den Lagerstrassen, blieb an den Zelten stehen und erfreute sich
des Lobes, das er zu hören bekam: der eine pries den Adel des Heerführers, der
andere seine stattliche Erscheinung, die meisten seine Ausdauer und seine
Leutseligkeit, sein im Ernst und im Scherz gleich bleibendes Wesen, und sie
sprachen offen aus, man müsse in der Schlacht den schuldigen Dank abstatten und
zugleich die treulosen und Vertragsbrüchigen der Rache und dem eigenen Ruhm
opfern. Inzwischen ritt einer der Feinde, der der lateinischen Sprache mächtig
war, an den Wall heran und versprach jedem Überläufer im Namen des Arminius mit
lauter Stimme Frauen und Ländereien und für die Dauer des Krieges täglich
hundert Sesterzen. Dieses schmachvolle Angebot entflammte den Zorn der Soldaten.
Man möge es nur Tag werden und die Waffen sprechen lassen. Nehmen werden die
Soldaten sich das Land der Germanen und fortschleppen ihre Frauen. Sie nehmen
das gute Vorzeichen an: die Ehefrauen und das Geld der Feinde seien die Beute,
die sie sich nehmen werden. Etwa um die dritte Nachtwache stürmte der Feind
gegen das Lager heran; doch kam es zu keinem Geschosswechsel. Die Feinde hatten
gemerkt, dass vorn auf den Befestigungen zahlreiche Kohorten standen und nichts
versäumt war.
14.
Die gleiche Nacht brachte dem Germanicus ein beglückendes Traumgesicht. Er sah
sich mit dem Opfer beschäftigt und hatte für seine blutbespritzte Praetexta aus
den Händen seiner Großmutter Augusta eine andere schöne erhalten. Durch dieses
Vorzeichen in gehobene Stimmung versetzt, berief er, da auch die Auspizien
günstig ausfielen, die Soldaten zur Versammlung und legte die Maßnahmen dar, die
er, wohl überlegt, als geeignet für den bevorstehenden Kampf getroffen habe.
Nicht nur auf ebenen Gelände könne der römische Soldat mit Erfolg kämpfen,
sondern auch in Wäldern und auf bewachsenen Höhen, wenn man nur den Verstand
walten lasse. Denn die riesigen Schilde der Barbaren und ihre gewaltigen Lanzen
lassen sich zwischen den Baumstämmen und dem Unterholz keineswegs so gut
handhaben wie die Speere und Schwerter der Römer und ihre eng am Körper
anliegende Rüstung. Sie sollten unentwegt draufschlagen und mit den
Schwertspizen auf das Gesicht zielen. Die Germanen hätten keine Panzer, keine
Helme, auch ihre Schilde seien nicht mit Eisen oder Leder verstärkt,
sondern nur ein Weidengeflecht oder ein dünnes, mit Farbe bestrichenes Brett.
Die erste Reihe sei einigermaßen mit Lanzen ausgerüstet, aber alle übrigen hätten nur vorn
im Feuer gehärtete kurze Lanzen. Äußerlich machen sie zwar einen grimmigen
Eindruck, auch entwickeln sie einen beachtlichen, aber rasch erlahmenden
Angriffschwung, und wenn sie verwundet werden, seien sie zum Widerstand unfähig.
Ohne Gefühl für Ehre und Schande, ohne sich um ihre Führer zu kümmern, laufen
sie weg, fliehen davon, furchtsam im Unglück, im Glück nicht göttliches, nicht
menschliches Recht achtend. Wenn sie der Märsche und Seefahrten müde seien und
ein Ende wünschten, so werde es diese Schlacht bringen. Schon seien sie der Elbe
näher als dem Rhein, weithin sei kein Krieg mehr zu führen, wenn sie nur ihm,
den Spuren seines Vaters und Oheims folge, in eben diesem Lande zum Siege
verhelfen.
15.
Die Rede des Heerführers erweckte bei den Soldaten begeisterte Kampfstimmung,
und das Zeichen zur Schlacht wurde gegeben. Auch Arminius und die übrigen
Häuptlinge der Germanen unterließen es nicht, ihren Leuten zu versichern, hier
habe man es mit den Römern des Varusheeres zu tun, die so ausgezeichnet zu fliehen
verstehen und die, um keinen Krieg auf sich nehmen zu müssen, sich auf Meuterei
verlegt hätten. Ein Teil von ihnen habe den Rücken voller Wunden, einem anderen
hätten die Sturmfluten die Glieder zerschunden, mit denen sie sich nun wieder
ihren erbitterten Feinden und den ungnädigen Göttern ohne irgendwelche Aussicht
auf Erfolg entgegenstellen. Sie hätten es mit der Flotte versucht und sich auf
die entlegenen Bahnen des Ozeans begeben, damit niemand ihnen wenn sie kommen,
entgegentrete und niemand, wenn sie geschlagen würden, ihnen auf den Fersen
bleibe. Aber sobald es zum Handgemenge komme, setzen sie vergeblich ihre
Hoffnung auf die Hilfe von Winden und Rudern. Sie sollen nur an ihre Habsucht,
ihre Grausamkeit und ihren Hochmut denken: bleibe ihnen dann noch etwas anderes
übrig, als entweder ihre Freiheit zu behaupten oder zu sterben, ehe man sie zu
Sklaven mache.
16.
Als sie so begeistert die Schlacht forderten, führte man sie auf ein freies
Feld, namens Idistaviso, hinunter. Dies liegt in der Mitte zwischen dem
Visurgis und den Hügeln und zieht sich in ungleichen Krümmungen hin, je nach dem
die Ufer des Flusses zurücktreten oder Bergvorsprünge sich vorschieben. Im
Rücken der Germanen zog sich an einer Anhöhe ein Wald hinauf mit hohen
Baumkronen, während zwischen den Stämmen nackter Boden war. Die Ebene und den
Waldrand hatte das barbarische Heer besetzt. Nur die Cherusker standen oben auf
der Höhe, um sich während des Kampfes von oben auf die Römer zu stürzen. Unser
Heer marschierte in folgender Gliederung: an die Spitze die gallischen und
germanischen Hilfstruppen, hinter ihnen die Bogenschützen zu Fuß. Dann kamen
vier Legionen und mir zwei Prätorianerkohorten sowie auserlesener Reiterei der
Caesar, darauf die anderen vier Legionen und die leichtbewaffnete Truppe mit den
berittenen Bogenschützen und die restlichen Kohorten der Bundesgenossen.
Kampfbereit waren die Soldaten darauf bedacht, dass sich der Aufmarsch aus der
Kolonne zur Schlacht in Ordnung vollziehe.
17.
Als Germanicus die Scharen der Cherusker, die mit wildem Ungestüm hervorgestürmt
waren, erblickte, befahl er dem Kern seiner Reiterei, sie in der Flanke zu
fassen, dem Stertinius mit den übrigen Reiterabteilungen eine Umgehungsbewegung
zu machen und dem Feind in den Rücken zu fallen. Er selbst werde zu gegebener
Zeit zur Stelle sein. Inzwischen lenkte ein herrliches Vorzeichen, acht Adler,
die man auf die Wälder zu und dann in sie hineinfliegen sah, die Aufmerksamkeit
des Oberfeldherrn auf sich. Er rief “Los! Folget den Vögeln Roms, den
Schutzgeistern der Legionen!“ Zugleich ging das Fußvolk zum Angriff über, und
die vorausgeschickte Reiterei drang im Rücken und auf den Flanken ein. Und – es
klingt seltsam – zwei feindliche Heere flohen in entgegengesetzter Richtung, die
Truppe, die den Wald besetzt hatte, rannte in das offene Gelände, diejenige, die
in der Ebene Aufstellung genommen hatte, in den Wald. Mitten zwischen ihnen
wurden die Cherusker von den Hügeln heruntergeworfen. In ihren Reihen suchte
Arminius, deutlich erkennbar, durch persönlichen Einsatz, durch Zurufe und
selbst verwundet, die Schlacht zum Stehen zu bringen. Er war auf unsere
Bogenschützen eingedrungen und wäre hier durchgebrochen; doch warfen sich ihm
die Kohorten der Räter, Vindelicier und Gallier entgegen. Aber dank seiner
Körperkraft, mit der er sich Bahn brach, und seinem feurigen Pferde schlug er
sich durch. Er hatte, um nicht erkannt zu werden, mit seinem eigenen Blut das
Gesicht verschmiert. Manche haben überliefert, er sei von den Chauken, die bei
den römischen Hilfstruppen dienten erkannt und durchgelassen worden. Gleiche
Tapferkeit – oder List – ermöglichte auch dem Inguiomerus das Entrinnen. Die
anderen wurden wo man sie traf, niedergemacht: sehr viele fanden bei dem
Versuch, über den Visurgis zu schwimmen, unter dem Geschosshagel oder in der
starken Strömung des Flusses, zuletzt dadurch, dass die Menschenmassen
übereinander stürzten und das Ufer einbrach, den Tod. Einige kletterten in
schmählicher Flucht ganz oben auf die Bäume hinauf, wo sie sich in den Zweigen
zu verstecken suchten und von herbeigeholten Bogenschützen zur Kurzweil
heruntergeschossen wurden.
18.
Groß war dieser Sieg und hatte uns kein Blut gekostet. Von der fünften Stunde
des Tages bis zur Nacht dauerte das Morden, und auf einer Strecke von zehn
Meilen war der Boden mit erschlagenen Feinden und Waffen bedeckt. Dabei fand man
unter der Waffenbeute auch die Ketten, die sie, an ihren Erfolgen nicht
zweifelnd , für die Römer mitgebracht hatten. Die Soldaten riefen Tiberius auf
dem Schlachtfeld zum Imperator aus und errichteten einen Erdhügel, auf dem sie
nach Art von Siegesdenkmälern die erbeuteten Waffen legten und die Namen der
hiesigen Völkerschaften anbrachten.
19.
Nicht ihre Wunden, nicht ihre Trauer, nicht die Vernichtung ihrer Truppen
schmerzte und erbitterte die Germanen so sehr wie dieser Anblick. Sie, die eben
noch Anstalten trafen, ihre Wohnsitze zu verlegen und über die Elbe sich
zurückzuziehen wollten nun kämpfen, griffen eilends zu den Waffen. Volk und
Adel, alte und junge Leute stürzten sich plötzlich auf die römische
Marschkolonne und brachte sie in Verwirrung. Zuletzt suchten sie sich einen
Kampfplatz aus, der vom Fluss und Wald umschlossen war und in dem sich eine
schmale sumpfige Fläche befand. Auch um das Waldgebiet zog sich ein tiefer
Sumpf, nur eine Seite hatten die Angrivarier durch einen breiten Damm erhöht,
der die Grenzlinie zu den Cheruskern bilden sollte. Hier ging das Fußvolk in
Stellung. Die Reiterei nahm in den nahe gelegenen Lichtungen Deckung, um den
Legionen, sobald sie in den Wald einmarschiert seien, in den Rücken zu fallen.
20.
Dem Caesar blieb von diesen Maßnahmen nichts verborgen. Er kannte die Absichten
und die Stellungen der Feinde, ob sie nun offen vor Augen lagen oder verborgen
waren, und ihre schlauen Berechnungen suchte er in ihr Verderben zu verwandeln.
Dem Legaten Seius Tubero übergab er die Reiterei und wies ihm das ebene Feld zu.
Das Fußvolk stellte er so zum Kampf auf, dass ein Teil auf ebenen Gelände an den
Wald heranrücken und in ihn einmarschieren und der andere den vor ihnen
liegenden Erdwall erklimmen sollte. Diese schwierige Aufgabe behielt er sich
persönlich vor, alles übrige überließ er den Legaten. Diejenigen, denen das
ebene Gelände zugewiesen war, brachen mühelos in den Wald ein; diejenigen
jedoch, die den Erdwall zu erstürmen hatten, hatten, wie wenn sie an eine Mauer
vorrückten, unter einer schweren Beschießung von der Mauer herab zu leiden. Der
Heerführer erkannte, wie ungleich dieser Nahkampf war. Er zog dagegen die
Legionen ein wenig zurück und befahl den Schleuderern und Wurfschützen, ihre
Geschosse zu werfen und den Feind vom Wall zu vertreiben. Von den Geschützen
wurden Speere abgeschossen, und je sichtbarer die Verteidiger waren, mit um so
größeren Verlusten wurden sie heruntergeworfen. An der Spitze seiner
Prätorianerkohorten eroberte der Caesar den Wall und trat zum Sturmangriff auf
den Wald an, wo man Mann gegen Mann rang. Den Feind riegelte im Rücken der
Sumpf, die Römer der Fluss oder die Berge ab. Beide Teile mussten unbedingt ihre
Stellung behaupten, sie konnten nur auf ihren Mannesmut sich verlassen und nur
von einem Sieg Rettung erhoffen.
21.
Nicht geringer Mut beseelte die Germanen. Aber durch ihre Kampfweise und durch
die Art ihrer Waffen waren sie unterlegen. Die große Menschenmasse konnte in dem
engen Raum ihre überlangen Lanzen weder vorstrecken noch zurückziehen und ihre
körperliche Behändigkeit auch nicht zum Anrennen auf den Feind ausnützen, da sie
zum Kampf auf einen festen Standort gezwungen war. Dagegen stachen die römischen
Soldaten, ihre Schilde fest an die Brust gepresst und mit den Hand fest den
Schwergriff umfassend, auf die bereiten Gliedmaßen der Barbaren und ihre
ungeschützten Gesichter ein und bahnten sich über die Leichen der Feinde den
Weg, während es Arminius infolge der andauernden Kämpfe an Tatkraft fehlen ließ;
vielleicht war er auch durch seine frische Verwundung gehemmt. Ja, auch dem Inguiomerus, der auf dem ganzen Schlachtfeld umherflog, verließ weniger der
Mannesmut als vielmehr das Glück. Germanicus hatte, um besser erkannt zu werden,
seine Kopfbedeckung abgenommen und bat seine Leute, mit dem Morden nicht
einzuhalten. Man brauche keine Gefangenen zu machen, nur die Vernichtung des
Stammes werde dem Krieg ein Ende setzen. Es war schon spät am Tage, als er eine
Legion von dem Kampfplatz abrücken ließ, um ein Lager zu schlagen. Die übrigen
sättigten sich bis zum Eintritt der Nacht an dem Blut der Feinde. Der Kampf der
Reiterei brachte keine Entscheidung.
22.
Der Caesar lobte vor versammelter Mannschaft die Sieger und ließ eine
Waffenpyramide errichten mit der stolzen Aufschrift: „Nach Niederkämpfung der Völkerschaften
zwischen Rhein und Elbe hat das Heer des Tiberius Caesar dieses Erinnerungsmal
dem Mars und Juppiter und Augustus geweiht.“ Über sich fügte er nichts hinzu.
Entweder fürchtete er sich vor dem Neid, oder er glaubte, er könne zufrieden
sein mit dem Bewusstsein seiner Leistung. Dann übertrug er die Kriegsführung
gegen die Angrivarier dem Stertinius für den Fall, dass sie sich nicht
beschleunigt unterwerfen würden. Da sie demütig baten und sich mit allen
Bedingungen einverstanden erklärten, wurde ihnen auch alles verziehen.
23.
Aber da es bereits Hochsommer war, wurde ein Teil der Legionen auf dem
Landmarsch in die Winterquartiere zurückgeschickt. Den größeren Teil schiffte
der Caesar ein und fuhr mit ihm auf der Amisa in den Ozean. Anfangs war die See
noch ruhig; sie rauschte unter dem Ruderschlag von tausend Schiffen oder wogte
auf, wenn die Segel aufgezogen wurden. Bald aber ging ein Hagelschauer aus einer
schwarzen Wolkenwand nieder, und zugleich brausten von allen Seiten heftige Böen
heran, unberechenbare Flutwellen nahmen die Sicht und hinderten die Steuerung
der Schiffe. Von den verzagten Mannschaften, die mit der Seefahrt nicht vertraut
waren, wurden die Seeleute, denen sie unsachgemäß helfen wollten, gestört. Und
sie machten so den sachkundigen Matrosen ihre Verrichtungen unmöglich. Dann
wurde über dem ganzen Himmel und das ganze Meer der Südwind Herr. Er führte von
den feuchtdunstigen Ländern Germaniens und den tiefen Flüssen gewaltige
Wolkenmassen mit Macht heran, und die Kälte des nahen Nordens machte ihn noch
schrecklicher. Und so riss er die Schiffe fort und verschlug sie auf den offenen
Ozean oder ließ sie an Inseln, die mit ihren schroffen Klippen oder verborgenen
Untiefen gefährlich waren, stranden. War man diesen mit knapper Not und Mühe
ausgewichen, so konnte man nachher, als die Flut wechselte und sich in der
Windrichtung bewegte, die Schiffe nicht mehr fest verankern und auch nicht die
hereinbrechenden Wassermassen ausschöpfen. Pferde, Zugtiere, Gepäck, sogar
Waffen wurden über Bord geworfen, um den Schiffsraum zu entlasten, in den das
Wasser durch die Bordwände eindrang und die Fluten von oben her hereinstürzten.
24.
Je stürmischer der Ozean als jedes andere Meer und das Wetter Germaniens
grimmiger ist als anderwärts, um so mehr hob sich jenes, noch nie erlebte
Unglück durch sein Ausmaß heraus; ringsum waren die Gestade in den Händen der
Feinde oder das Meer so unermesslich und unergründlich, dass man glaubte, man
sei am Ende der Welt und hinter ihm komme kein Land mehr. Ein Teil der Schiffe
ging unter, die Mehrzahl strandete an weiter entfernt gelegene Inseln, wo die
Leute, da dort keine Menschen wohnten, verhungerten, mit Ausnahme derer, die
sich mit dem Fleisch der ebenfalls an Land geschwemmten Pferde am Leben
erhielten. Nur der Dreiruderer des Germanicus landete im Gebiet der Chauken. In
allen diesen Tagen und Nächten stand er bei den Klippen und Küstenvorsprüngen
und rief, er sei an diesem vernichtenden Unglück schuld, wobei er von seinen
Freunden nur mit Mühe davon zurückgehalten werden konnte, in dem gleichen Meere
den Tod zu suchen. Als endlich die Flut zurück ging und ein günstiger Wind
aufkam, fanden sich die Schiffe, beschädigt und mit spärlichem Ruderwerk, oder
mit ausgespannten Tüchern, einige auch im Schlepptau von stärkeren, wieder ein.
Diese ließ er beschleunigt wieder instand setzen und schickte sie aus, um die
Inseln abzusuchen. Dank dieser fürsorglichen Maßnahme wurden sehr viele Leute
wieder zusammengeholt. Viele wurden auch durch die Angrivarier, die sich
kürzlich unterworfen hatten, von den tiefer im Binnenland wohnenden Stämmen
losgekauft und zurückgegeben. Einige, die nach Britannien verschleppt waren,
wurden von den dortigen Fürsten zurückgeschickt, wer aus weiter Ferne
zurückgekehrt war, erzählte Wundergeschichten von gewaltigen Wirbelwinden und
von Vögeln, von denen man noch nie vernommen habe, von Meerungeheuern und von
Zwittergeschöpfen aus Mensch und Tier, mögen sie diese nun wirklich gesehen oder
in der Angst es sich nur eingebildet zu haben
25.
Aber die Kunde von dem Verlust der Flotte ermutigte einerseits die Germanen
dazu, ihre Hoffnung auf den Krieg zu setzen, andererseits den Caesar,
Gegenmaßnahmen zu treffen. Dem C. Silius befahl er mit dreißigtausend Mann zu
Fuß und dreitausend Reitern in das Land der Chatten zu ziehen.
Er selbst brach
mit noch größerer Truppenmacht in das Gebiet der Marser ein, deren Führer Mallovendus erst kürzlich sich unterworfen hatte und nun aussagte, in einem
nahen Hain sei der Adler einer Varianischen Legion vergraben und werde schwach
bewacht. Sofort wurde eine Abteilung abgeschickt, den Feind von vorne zu einen
Kampf herauszulocken, während andere ihn im Rücken umgehen und den Adler
ausgraben sollten. Beiden Abteilungen stand das Glück zur Seite. Um so
entschlossener setzte der Caesar den Marsch in das Innere des Landes fort,
plünderte und brandschatzte, ohne das sich der Feind zu stellen wagte; wo er
Widerstand leistete, wurde er sofort geschlagen und, wie man von den Gefangenen
erfuhr, wie nie zuvor in Schrecken versetzt. Denn sie erklärten, unbesiegbar und
durch keine Schicksalsschläge bezwingbar seien die Römer, die nach der
Vernichtung ihrer Flotte, nach dem Verlust ihrer Waffen, nachdem die Gestade mit
den Leichen von Pferden und Mannschaften bedeckt gewesen seien, mit dem gleichen
Angriffsgeist und scheinbar mit vermehrter Truppenmacht in das Land eingebrochen
seien.
26.
Dann wurden die Truppen in die Winterquartiere zurückgeführt. Sie waren in
froher Stimmung, da das Missgeschick zur See durch die erfolgreiche Unternehmung
zu Lande aufgewogen war. Und diese Stimmung erhöhte noch Germanicus durch
Freigebigkeit; er ersetzte jedem seinen Schaden in der Höhe, die er angegeben
hatte. Auch hielt man es für unzweifelhaft, dass der Widerstand der Feinde ins
Wanken komme und sie sich mit der Absicht tragen, um Frieden zu bitten. Der
Krieg könne beendigt werden, wenn man noch den nächsten Sommer hinzunähme. Aber
Tiberius ermahnte Germanicus in mehreren Briefen, er solle zu Feier des
bewilligten Triumphes zurückkehren. Es sei genug der Erfolge, genug der
Misserfolge. Germanicus könne auf erfolgreiche und große Kämpfe zurückblicken.
Er möge auch an all die schweren Verluste denken, die Stürme und Fluten
verursacht hätten, für den zwar der Führer keine Schuld treffe, die aber doch
schwer und schrecklich seien. Er selbst sei neunmal von dem Vergöttlichten
Augustus nach Germanien geschickt worden und habe dort mehr durch kluges als
durch gewaltsames Vorgehen erreicht. So hätten sich die Sugambrer unterworfen,
so habe man die Sueben und den König Maroboduus durch einen Frieden
verpflichtet. Auch könne man die Cherusker und die übrigen aufrühreririschen
Völkerschaften, da man der Rache Roms genuggetan habe, ihren inneren
Zwistigkeiten überlassen. Als Germanicus um ein weiteres Jahr bat um seine
Unternehmungen zu Ende zu führen, appellierte er noch nachdrücklicher an seine
Loyalität, in dem er ihm ein zweites Konsulat anbot, das er persönlich in Rom
annehmen solle. Daran knüpfte er die Bemerkung, wenn man weiterhin Krieg führen
müsse, so solle er die Gelegenheit, Ruhm zu erweben, seinem Bruder Drusus
zubilligen, der, da es jetzt außer in Germanien keinen Feind mehr gebe, nur dort
den Imperatorentitel erlangen und den Lorbeer sich holen könne. Germanicus
zögerte nun nicht weiter, obgleich er merkte, dass dies alles nur vorgetäuscht
sei und ihm aus Neid der bereits errungene Ruhm entrissen werde.
41.
Am Jahresende wurden bei dem Tempel des Saturnus wegen der Wiedergewinnung der
mit Varus verlorenen Feldzeichen, die unter der Führung des Germanicus und unter
der Regierung des Tiberius erfolgt war, ein Triumphbogen, ferner ein Tempel der
Fors Fortuna neben dem Tiber in dem Park, den der Diktator Caesar dem römischen
Volk vermacht hatte, und eine Kapelle der julischen Gens sowie ein Standbild dem
vergöttlichten Augustus in Bovillae geweiht.
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(17 nach Chr.:)
43.
Unter dem Konsulat des C. Caelius und L. Pomponius triumphierte Germanicus
Caesar am 26.Mai über die Cherusker, Chatten und Angrivarier und die anderen
Völkerschaften, die bis zur Elbe wohnen. Mitgeführt wurden erbeutete Waffen,
Gefangene, Bilder von Bergen, Flüssen und Schlachten. Und weil man Germanicus
daran gehindert hatte, den Krieg zu beendigen, nahm man ihn als beendigt an. Das
Bild, das sich den Zuschauern bot, bekam noch durch des Germanicus hervorragende
äußere Erscheinung einen besonderen Glanz sowie durch den Wagen, auf dem seine
fünf Kinder fuhren.
44.
Nicht lange darauf wurde Drusus nach Illyricum geschickt, damit er sich an den
Kriegsdienst gewöhne und sich die Zuneigung des Heeres erwerbe. Zugleich glaubte
Tiberius, dass der Jüngling, der sich dem üppigen Leben der Hauptstadt hingab,
im Lager besser aufgehoben sei und es für ihn selbst größere Sicherheit
bedeutete, wenn beide Söhne Legionen befehligten. Aber als Vorwand dienten die
Sueben, die um Hilfe gegen die Cherusker baten. Denn nach dem Abzug der Römer
hatten sie, der Furcht vor dem auswärtigen Feind ledig, nach Stammesgewohnheit
und jetzt in ruhmbegieriger Eifersucht die Waffen gegeneinander gekehrt. Die
Stärke der beiden Stämme und die Tüchtigkeit ihrer Führer waren gleich. Aber Maroboduus machte bei seinen Leuten der Königsname verhasst, Arminius sein Kampf
für die Freiheit beliebt.45.
Und so griffen nicht nur die Cherusker und deren Verbündete, die alte Mannschaft
des Arminius, zu den Waffen, sondern auch aus dem Königsreich des Maroboduus
fielen suebische Stämme, Semmnonen und Langobarden, zu ihm ab. Mit diesem
Zuwachs hätte er die Übermacht gehabt, wenn nicht Inguiomerus mit einer Schar
seiner Klienten zu Maroboduus geflohen wäre, lediglich deshalb, weil es dem
alten Oheim unwürdig erschien, dem jungen Sohn seines Bruders sich
unterzuordnen. Die Heere stellten sich mit gleichen Siegeshoffnungen zur Schlacht
auf. Aber sie stürmten nicht mehr, wie es früher bei den Germanen üblich war,
regellos oder in getrennten Heerhaufen auf den Feind los. Denn sie hatten sich
in langem Kriegsdienst gegen und daran gewöhnt, den Fahnen zu folgen, und sich
durch Reserven zu sichern und auf die Befehle der Heerführer zu achten. Jetzt
besichtigte Arminius zu Pferd alles und wies überall, wohin er ritt, auf die
wieder gewonnene Freiheit, die erschlagenen Legionen und auf die den Römern
abgenommenen Waffen hin, die immer noch in vieler Hände seien. Dagegen nannte er Maroboduus einen Ausreißer, der noch keine Schlacht mitgemacht habe, in den
Verstecken des herkynischen Waldes Schutz gesucht und dann durch Geschenke und
Gesandtschaften um ein Bündnis gebeten habe, einen Verräter des Vaterlandes,
einen Trabanten des Caesaren, den man mit der gleichen Erbitterung verjagen
müsse, wie sie Quintilius Varus erschlagen hätten. Sie sollten sich nur an die
vielen Kämpfe erinnern, die schließlich mit der Vertreibung der Römer geendet
hätten, wodurch ausreichend erwiesen sei, in wessen Händen die endgültige
Entscheidung des Krieges gelegen habe.
46.
Auch Maroboduus sparte nicht mit prahlendem Eigenlob oder Beschimpfungen der
Feinde. Dagegen beteuerte er, Inguiomerus an der Hand haltend, dessen Person sei
der Inbegriff der ganzen Ehre der Cherusker, dessen Ratschlägen seien alle
bisherigen Erfolge zu verdanken. Arminius nehme in seinen Wahn und in der
Verkennung der wahren Lage fremden Ruhm für sich in Anspruch, weil er drei
Legionen, die planlos daherzogen, und einen arglosen Führer treulos getäuscht
habe, zum großen Unglück für Germanien und zu seiner eigenen Schande, da seine
Gattin, da sein Sohn noch immer in Knechtschaft schmachten. Er aber habe, von
zwölf Legionen unter der Führung des Tiberius angegriffen, den Ruhm der Germanen
unbefleckt bewahrt, und dann habe man sich nach Abschluss eines Vergleichs
getrennt. Und er bereue es nicht, dass es in einer Hand liege, ob sie lieber von
neuem Krieg mit den Römern oder einen Frieden ohne Blutvergießen haben wollten.
Außer diesen Worten, die bei den Heeren begeistert aufgenommen wurden, spornten
sie noch besondere Gründe an: die Cherusker und Langobarden stritten für ihre
alte Ehre oder für ihre neu gewonnene Freiheit, die Gegner für die Erweiterung
ihrer Herrschaft. Nirgends sonst war man mit größerer Wucht aufeinander
geprallt, und nie war der Ausgang zweifelhafter gewesen: auf beiden Seiten wurde
der rechte Flügel geschlagen. Man erwartete, dass die Schlacht wieder
aufgenommen würde. Doch Maroboduus zog seine Truppen in den Schutz eines
Hügelgeländes zurück. Dies war das Zeichen dafür, dass er sich geschlagen
fühlte. Und da er allmählich durch das Überlaufen seiner Leute geschwächt wurde,
zog er sich in das Gebiet der Markomannen zurück und schickte Gesandte an
Tiberius mit der Bitte um Hilfe. Die Antwort lautete, er habe kein Recht, gegen
die Cherusker römische Waffenhilfe anzurufen, da er ja den Römern bei ihrem
Kampf gegen den gleichen Feind keinerlei Hilfe gewährt habe. Jedoch wurde
Drusus, wie schon berichtet, abgeschickt, um den Frieden zu sichern.
(19 nach Chr.:)
88. Ich finde bei den Schriftstellern senatorischen Ranges
dieser Zeit, dass in dem Senat ein Brief des Chattenfürsten Adgandestrius
verlesen wurde, in dem er den Tod des Arminius versprach, wenn ihm zur
Durchführung des Mordes Gift geschickt werde. Doch sei ihm der Bescheid erteilt
worden, nicht hinterlistig und nicht heimlich, sondern offen mit der Waffe in
der Hand räche sich das römische Volk an seinen Feinden. Mit diesem rühmlichen
Verhalten stellte sich Tiberius den Feldherrn alter Zeiten zur Seite, die die
Verwendung von Gift gegen Phyrrus abgelehnt und ihn von den beabsichtigten in
Kenntnis gesetzt hatten. Indessen stieß Arminius bei dem Abzug der Römer und
nach der Vertreibung von Maroboduus in seinem Streben nach dem Thron auf den
Widerstand seiner freiheitsliebenden Landsleute. Es kam zu einer bewaffneten
Auseinandersetzung, bei der er mit wechselndem Glück kämpfte und durch die
Hinterlist seiner Verwandten fiel. Unstreitig war er der Befreier Germaniens,
der das römische Volk nicht am Anfang seiner Geschichte, wie andere Könige und
Heerführer, sondern das in höchster Blüte stehender Reich herausgefordert hat,
in den einzelnen Schlachten nicht immer erfolgreich, im Kriege unbesiegt. Er
wurde 37 Jahre alt, zwölf Jahre hatte er die Macht in Händen, und noch immer
besingt man ihn bei den barbarischen Völkern. Die griechische
Geschichtsschreibung die nur die eigenen Taten bewundert, kennt ihn nicht, und
bei den Römern spielt er nicht die ihm gebührende Rolle, da wir die alte
Geschichte rühmend hervorheben und der neuen gleichgültig gegenüberstehen.
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Annalen XII
(50 nach Chr.:)
27.
In der gleichen Zeit versetzte Obergermanien das Anrücken der Chatten, die sich
auf Raubzügen befanden, in Schrecken. Deshalb schickte der Legat P.Pomponius die
Hilfsvölker der Vangionen und Nemeter, die durch bundesgenössische Reiterei
verstärkt waren, ab mit der Weisung, die Plünderer zu überholen oder, wenn sie
sich zerstreut hätten, unversehens zu umzingeln. Den klugen Plan des Führers
unterstützte die Tatkraft der Soldaten. Sie wurden in zwei Kolonnen eingeteilt.
Diejenige, die den linken Weg eingeschlagen hatte, umzingelte die eben
zurückgekehrten Feinde, die in dem Genuss ihrer Beute schwelgten und in tiefen
Schlafe lagen, wobei die Freude noch dadurch vermehrt wurde, dass sie einige
Leute vierzig Jahre nach der Niederlage des Varus aus der Knechtschaft
befreiten.
39.
Besonders hartnäckigen Widerstand leisteten die Silurer, die ein ihnen bekannt
gewordenes Wort des römischen Oberbefehlshabers aufstachelte: „Wie einst die
Sugambrer ausgerottet oder nach Gallien umgesiedelt wurden, so ist der Name der
Silurer mit Stumpf und Stiel auszutilgen.“
Annalen XIII
(59 nach Chr.:)
55.
Diese Ländereien (der Friesen) nahmen nun die Ampsivarier in Besitz, ein
Volksstamm, der stärker nicht nur aufgrund seiner eigenen Mittel, sondern dem
auch das Mitgefühl der angrenzenden Völkerschaften zugute kam, weil er, von den
Chauken vertrieben, heimatlos um eine gesicherte Zukunft bat. Es war bei ihnen
ein bei jenen Stämmen berühmter und auch uns treu ergebener Mann namens
Boiocalus, der erzählte, er sei bei dem Aufstand der Cherusker auf Befehl des
Arminius in Fesseln gelegt worden, habe dann im Heere des Tiberius und
Germanicus gedient und wolle einen fünfzigjährigen Gehorsam damit krönen, dass
er sein Volk unter unsere Botmäßigkeit bringe. Wie viel Land liege brach, auf
das höchstens dann und wann das Groß- und Kleinvieh der Soldaten getrieben
werde! Mögen sie, während Menschen hungern, nur ihre Herden auf ihnen
vorbehaltenen Weideplätzen hüten, nur solle eine wüste Einöde nicht lieber sein
als befreundete Völkerschaften. Den Chamavern hätten einst diese Fluren, dann
den Tubanten und hernach den Usipetern gehört. Wie der Himmel den Göttern, so
sei die Erde den Sterblichen gegeben. Was niemand gehöre, gehöre jedem. Dann zur
Sonne und die anderen Gestirne anrufend, fragte er sie, als ob sie leibhaftig da
wären, ob sie auf ein ödes Land schauen wollten. Möchten sie doch lieber gegen
die Räuber der Erde das Meer fluten lassen!
56.
Durch diese Vorstellungen gerührt, erklärte Avitus, man müsse sich den Geboten
der Besseren fügen. Dies sei der Wille der Götter, die sie anflehen, dass in den
Händen der Römer selbst die Entscheidung darüber bleibe, was sie nehmen und was
sie geben wollten, und das sie keine anderen Richter als sich selbst dulden. Das
war seine Antwort an die Ampsivarier in ihrer Gesamtheit. Dem Boiocalus erklärte
er aber persönlich, er werde ihm in Gedenken an seine Freundschaft Land
anweisen. Dies lehnte Boiocalus als einen Verräterlohn ab und fügte hinzu:
„Fehlen kann es uns an Land zum Leben, zum Sterben kann es uns nicht fehlen.“
Und so trennten sie sich in feindlicher Stimmung.
Aus
Tacitus Annalen
I-VI/XI-XVI Sontheimer Walther:/ Reclam
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