Das Weserlager
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Ein
Stützpfeiler in der Argumentationslinie vieler Varusschlachttheorien,
die sich für einen Schlachtort im Osning aussprechen (sei es Kalkriese
oder ein anderer Ort im heutigen Teutoburger Wald), ist das einstmalige
Vorhandensein eines römischen Sommerlagers an der Weser, von dem Varus
mit seinen drei Legionen abgezogen sein soll, um in die Winterquartiere am
Rhein zurückzukehren. Während dieses Rückmarsches von seiner
Sommerresidenz wollte der römische Statthalter, nach diesen Theorien,
einen germanischen Aufstand quasi im Vorbeigehen niederschlagen. Dabei
geriet das römische Heer selbst in einen Hinterhalt, und wurde
daraufhin vernichtend geschlagen. Diese Einschätzung der Existenz des Weserlagers
wurde allein von Cassius Dios Zitat: (Cass.56.18)“ ...und lockten ihn
so, weit vom Rhein weg in das Gebiet der Cherusker und zur Weser“ begründet, und seitdem von vielen Historikern als bestehendes Faktum
angesehen, und dabei
viel zu selten in Frage gestellt. Kaum ein anderes
Römerlager wurde in der Vergangenheit von den Historikern intensiver
gesucht als dieses Sommerlager, denn seine Lokalisierung würde wichtige
hinweisende Indizien für die Aufspürung des Varusschlachtfeldes liefern,
und gleichzeitig die bisherige Mutmaßung einer Varusschlacht im Osning
untermauern.
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Google Ansicht Minden an
der Weser
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Bei
dieser Suche richtete sich das Augenmerk der involvierten Geschichtsforscher in
erster Linie auf das Gebiet zwischen den Weserstädten Hameln und Minden,
wo nach allgemeiner Meinung Varus mit seinen drei Legionen den Sommer
verbracht haben müsste. Aber trotz intensivster Untersuchungen der
gesamten Weserlandschaft, und auch weit darüber hinaus, auf Geländeprofile
die auf ein großes Römerlager hindeuten würden sind bisher keine
Zeugnisse entdeckt worden, die auf die Anwesenheit einer großen römischen Armee
an einem dieser Orte hindeuten würden. Dabei müsste ein für eine
dauerhaftere Präsenz von drei Legionen angelegtes Lager, an seinen
gewaltigen Ausmaßen von mindestens 70-80 Hektar Größe, und seinen
einstmals festen Wehranlagen, in der Landschaft zumindest in geringen
Ansätzen deutlich zu erkennen sein. Denn im Gegensatz zu einem
Marschlager, welches immer nur kurzzeitig belegt war und aus diesem Grunde
keine umfangreichen und damit ungleich schwieriger wieder erkennbare
Befestigungsanlagen besaß, handelte es sich bei einem Sommerlager
gleichfalls wie bei einem Standlager, um ein Bauwerk welches für eine
längere Belegungsdauer erbaut, und deswegen weit umfassender an seinen
Umwehrungen ausgestattet war.
Eine
Erklärung, der Varusschlacht im Teutoburger Wald Anhänger, für den
Umstand des fehlenden Fundgutes, sind nachrömische Überschwemmungen der
Weser, die den ehemaligen Lagerstandort unterspült haben sollen, und
daher alle sichtbaren Zeugnisse dieses Lagers vernichteten. Aber diesen
Aussagen ist entgegen zu halten, dass andere Römerlager an der Lippe
oder am Rhein, die in Flussnähe erbaut wurden, auch oftmals Opfer von
nachzeitlichen Flussbettverlagerungen oder Überschwemmungen wurden, aber
trotzdem durch nicht unterspülte Lagergräben und entdeckte
Keramikscherben, Münzfunde oder andere römische Gebrauchs- oder
Militärgüter, einwandfrei als ehemaliges Römerplatz geortet werden
konnten. So müsste man dieses angenommene Weserlager, welches dann der
erste Dreilegionenstützpunkt in Deutschland wäre, genauso durch
irgendwelche römischen Hinterlassenschaften wiederentdecken können.
Aber nirgendwo an der Weser sind, trotz angestrengtester Suche, bisher Zeugnisse einer römischen Anwesenheit lokalisiert worden, was
allein schon das ehemalige Vorhandensein eines Dreilegionenlagers im
Bereich der Weser unwahrscheinlich macht.
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Aber
auch andere Umstände lassen starke Zweifel an der Weserlagertheorie
aufkommen. Denn auch die Versorgung dieser Menschenmassen in diesem
Dreilegionenlager mit Nahrung und anderen Gütern des täglichen Bedarfs,
hätte einer logistischen Meisterleistung bedurft. Denn da die
landwirtschaftliche Produktion der einheimischen Bevölkerung nur auf die
Versorgung der eigenen Klientel ausgerichtet war, und sie bei weitem
nicht in der Lage war, eine Menschenmenge von mehr als Zwanzigtausend
römischen Besatzungstruppen zu ernähren, hätte der überwiegende Teil
dieser Güter von den Lagern am Rhein herangeschafft werden müssen. So
hätten die Römer diese Güter zuerst über mehr als 130 Kilometer mit
Schiffen, bis zum Lager in Anreppen die Lippe hinaufgetreidelt oder gerudert werden
müssen, um sie dann auf Wagen oder Maultiere umzuladen. Denn jetzt
musste das Versorgungsmaterial über den Landweg quer durch den Osning
bis zur Weser transportiert werden, was immer noch eine Wegstrecke von
mehr als 60 Kilometer, durch bergiges Terrain und ständig bedroht von Überfällen
feindlich gesinnter Germanen ausmachte. Diese frühzeitigen
Schwertransporte, die täglich etwa 40 Tonnen an Gütern heranschaffen
mussten, konnten nur auf einer gut ausgebauten Straßentrasse erfolgen,
die zusätzlich noch durch mindestens zwei bis drei Etappenlager
begleitet würde. Reste einer ehemaligen Wegetrasse sowie Zeichen
dieser Etappenstationen, sollten gleichfalls Spuren in der Landschaft
hinterlassen haben, die wie bei dem Weserlager auch heute noch
ansatzweise sichtbar wären. Aber nirgendwo zwischen Delbrück-Anreppen
und der Weser sind irgendwelche Zeugnisse eines derartigen
Straßenausbaus der Römer und ihrer Etappenstützpunkte zu erkennen, die
einwandfrei auf diese Römerstraße hindeuten würden. Ein Argument der
Weserlagerbefürworter dazu ist, dass die Truppenversorgung zu einem
großen Teil auf dem Wasserweg zum Weserlager herangeschafft wurde, und
zwar vom Rhein über den Drususkanal zum Flevomeer. Dann an der
Nordseeküste entlang bis zu Wesermündung, und von dort die Weser aufwärts bis
zum angestrebten Lagerstandort. Aber eine solche Wegeführung ist bei weitem
unglaubhafter, denn so hätte eine Wegstrecke von fast achthundert
Kilometern Länge über unsichere Fluss- und Seewege, und durch teilweise
feindliches Gebiet zurückgelegt werden müssen. Allein aus diesen
Gegebenheiten heraus kann man diese Vermutung schon ablehnen, zumal es
auch in diesem Fall noch Reste von Treidelpfaden oder Hafen- und
Kaianlagen an der Weser geben müsste, von denen es aber ebenfalls keine
sichtbaren Zeugnisse gibt.
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Ein
weiteres Faktum, das die Weserlagertheorie zusätzlich ins wanken bringt, ist der
militärische und strategische Nutzen, der eine römische
Truppenverlagerung so tief ins Innere Germaniens haben könnte. Die von
Augustus geplante, und von Tiberius begonnene Verlagerung des römischen
Interessengebietes bis zur Elbe, musste im Jahr 6 nach Christus wegen der Aufstände in Pannonien
und Dalmatien vorläufig abgebrochen werden. Denn nun war es erforderlich, diese
Gefahr für das Kernland des römischen Imperiums durch die
Konzentration der militärischen Kräfte im Aufstandgebiet zu begegnen.
Das bedeutete den teilweisen Abzug der Legionen, die schon bereit
standen um gegen den Markomannenfürsten Marbod zu ziehen. Dadurch wurde
in Niedergermanien nur noch ein römisches Rumpfheer zurückgelassen,
welches
allenfalls ausreichte den erlangten Status Quo im immer noch unruhigen
Germanien zu bewahren. Keinesfalls reichten die in Germania Inferior
zurückgebliebenen fünf Legionen dazu aus, eine Offensive in Germanien zu
beginnen und gleichzeitig die bisher eroberten Gebiete zu sichern. Velleius Paterculus schreibt dazu
(Vell.110/3): „Da wurde der Ruhm der
Notwendigkeit geopfert: Es erschien gegen die Belange der Sicherheit,
ein Heer im innersten Winkel des Landes zu begraben und Italien
ungeschützt dem Angriff eines so nahen Feindes zu überlassen.“. Als
Varus seine Statthalterschaft begann, hat er sicherlich von Augustus
eine Maßgabe mit auf dem Weg bekommen. Diese verbat ihm wahrscheinlich
auf eigene Faust einen militärischen Konflikt tief im inneren Germaniens
zu suchen, sondern die in erster Linie vorsah, die Bevölkerung der unter
der Kontrolle Roms stehenden Gebiete an die römische Lebensart zu
gewöhnen und den römischen Anspruch auf diese Gebiete zu manifestieren.
So ist es kaum vorstellbar, dass Varus die drei Legionen aus Vetera,
Haltern und Anreppen abgezogen hat, und dadurch die vorrangig zu
sichernden Gebiete in der Münsterländer Bucht und am Rhein entblößte, um
sich in Gegenden aufzuhalten die zu diesem Zeitpunkt peripher bis abseits des
römischen Interessengebietes standen. Denn die jenseits der Ems
siedelnden Cherusker und Chauken galten bei den Römern noch als Puffervölker
zum östlichen Barbarium, die zwar in die „Obhut“ Roms aufgenommen
wurden, aber noch weitgehend ihre politische Souveränität behielten.
Vielmehr ist es denkbar, dass die Münsterländer Bucht von den Römern in
weiten Teilen zu ihrer eigenen Versorgung genutzt wurde, denn sie war ja
durch vorhergehende Militäroperationen partiell entvölkert und bot den
Römern seinerzeit genügend Raum für die eigene Versorgungssicherung.
Warum sollte also Varus seine Legionen ohne Auftrag von Augustus so weit
vom Rhein entfernt zur Weser führen um dort seine Truppenmacht im Gebiet
von Verbündeten zu präsentieren, zumal es diese noch relativ freien
Völker diese massierte römische Truppenpräsenz in ihrem Territorium als
Provokation und Untergrabung der eigenen Hoheitsgewalt auffassen
könnten. Ein derartig politisch unkluges Vorgehen stünde in keinem
Verhältnis zum Nutzen einer militärischen Präsenz im Wesergebiet, und
passt auch nicht zu den Beurteilungen die von den antiken Schreibern
über Varus abgegeben wurden, die ihn als schwerfälligen, das Lagerleben vorziehenden und den Kriegsdienst verachtenden Menschen
beschreiben (Vell.117/2,
Flor.Ep.30,
Cass.56.18).
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Folgt
man trotz den vorgenannten Argumenten der Hypothese des Weserlagers, und
geht davon aus dass von dort die drei Varuslegionen abgezogen sind um
während ihrer Rückkehr einen germanischen Aufstand niederzuschlagen, so
ergeben sich weitere Unstimmigkeiten die nicht an eine Varusschlacht im
Osning glauben lassen. Denn sollte dieser Schlachtort im südlichen Teil
dieses Gebirges vermutet werden, so ist es kaum vorstellbar dass Varus
sein vollständiges Heer inklusive des schwerfälligen Trosses und
sämtlichen zivilen Angehörigen, den bekannten und ausgebauten Hauptweg
zu den Standlagern an der Lippe verlassen hat, um einen Aufstand
niederzuschlagen von dem er keine genaueren Einzelheiten wusste. Die
logische Vorgehensweise wäre gewesen, zuerst mit leichten und
beweglichen Heeresabteilungen das Aufstandsgebiet zu besuchen, und dort
mit diesen Truppen die Rebellierenden zu bekämpfen, um dann
gegebenenfalls Verstärkungen anzufordern. Die nicht benötigten
Truppenteile und den Tross hätte man Sinnvollerweise auf direktem Weg zu
den Winterquartieren geführt, da sie auf einem Marsch durch unbekanntes
Gebiet die kämpfende Armee behinderte und bei diesem Einsatz nicht
benötigt wurde. Auch ein Hinterhalt auf dem durch die Römer ständig
genutzten Vormarschweg, von dem Weserlager bis zur Lippe, scheidet durch
die genaue geographische Kenntnis dieses Gebietes aus, denn eine
germanische Truppenkonzentration im Bereich dieser Heerstrasse wäre den
römischen Aufklärern nicht verborgen geblieben. Durch eine frühzeitige
Entdeckung des Aufstandsheerers wäre die Gelegenheit für einen
Überraschungsangriff mehr gegeben.
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Allem in
allem muss man bei der Weserlagertheorie resümieren, dass es sich bei
der Erwähnung der Weser im Zusammenhang mit der Varusschlacht durch
Cassius Dio entweder um eine literarische Übertreibung oder um eine
missverstandene Äußerung von ihm handelte. Leider sind
dieser einzelnen Angabe des Dio die meisten Varusforscher blind gefolgt,
und haben auf dieser Grundlage Theorien erarbeitet, denen ein
gesichertes Fundament fehlt.
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